Krefeld Kurator für gut 4000 Kirchenglocken

Krefeld · Norbert Jachtmann ist Glockensachverständiger der Bistümer Aachen, Essen und Köln. Vom Glockenguss bis zum Kirchturmschutz wird seine Expertise benötigt. 2011 erlebte er zufällig den Absturz des 800 Kilogramm schweren Klöppels vom "Dicken Pitter" im Kölner Dom.

 Norbert Jachtmann ist Glockensachverständige für die Bistümer Aachen, Essen und das Erzbistum Köln. Von 1995 bis '98 absolvierte er eine Ausbildung als Glockendsachverständiger.

Norbert Jachtmann ist Glockensachverständige für die Bistümer Aachen, Essen und das Erzbistum Köln. Von 1995 bis '98 absolvierte er eine Ausbildung als Glockendsachverständiger.

Foto: Thomas Lammertz

Diese Minuten wird Norbert Jachtmann sein Leben lang nicht vergessen: Am Dreikönigstag 2011 steht der Krefelder auf der Kölner Domplatte der Rheinstadt. Der "Dicke Pitter", mit einem Durchmesser von 3,22 Meter eine der größten frei schwingenden Kirchenglocken der Welt, läutet zum feierlichen Pontifikalamt. Eine von Jachtmanns Töchtern dreht dabei ein Video. Dann verstummt die Glocke unerwartet. Bruchteile von Sekunden später ein kurzer, kräftiger Krach: Der 800 Kilo schwere Klöppel der riesigen Glocke ist vom Turm ins Dominnere herabgestürzt!

"Direkt am Folgetag saßen wir in der Domverwaltung beim Krisengespräch zusammen, um die notwendigen Arbeiten auf den Weg zu bringen", berichtet der Krefelder Glockensachverständige für die Bistümer Aachen, Essen und das Erzbistum Köln. Ein auf seine Empfehlung ausgesuchtes Ingenieurbüro wurde beauftragt, den Schaden zu analysieren und Berechnungen für einen neuen Klöppel anzustellen, der Anfang Dezember desselben Jahres - 200 Kilo leichter als sein Vorgänger - installiert werden konnte.

Ganz so spektakulär wie dieses Ereignis ist die Arbeit des 49-jährigen Kirchenmusikers, der von 1995 bis '98 eine Ausbildung als Glockendsachverständiger absolviert hat, nicht. Doch kann von seiner Arbeit immerhin auch die Standfestigkeit eines Kirchturms abhängen: "Sobald ein Turm auf die Schallfrequenz einer Glocke reagiert, ist dringend Abhilfe nötig. Die Schwingungen läutender Glocken können nämlich Risse im Mauerwerk eines Turms verursachen", erklärt Jachtmann. Dann wird er zu Hilfe gerufen, damit er Maßnahmen vorschlägt, mit denen die Frequenz der Glocken verändert werden kann, beispielsweise durch ein Zusatzgewicht auf den Jochen. "In Ausnahmefällen, denn das ist ziemlich teuer, kann man auch ein Gegengewicht installieren, das beim Läuten gleichzeitig genau gegenläufig zu der Glocke schwingt." In den meisten Fällen handelt es sich bei der Sanierung von Geläuten um Schäden am Antrieb oder an der Aufhängung im Glockengestühl, wenn Elemente aus Eisen oder Stahl korrodiert sind. "Dann müssen sie ausgetauscht werden oder - als preiswertere Lösung - einen neuen Schutzanstrich bekommen", sagt der Experte. Zu dessen einfacheren und selteneren Aufgaben gehört übrigens auch die Überprüfung von Dezibelzahlen, wenn sich Anlieger über zu lautes Läuten beschweren. Spannender und schöner war da schon vor vier Jahren der Auftrag der Evangelischen Kirche in Jerusalem, die Glocken aller dortigen deutschen Kirchen zu inventarisieren.

 Norbert Jachtmann 2013 im Turm der Augusta-Viktoria-Kirche auf dem Ölberg in Jerusalem zwecks Inventarisierung der Glocken aller deutscher Kirchen in Jerusalem. Der Auftrag kam von der dortigen evangelischen Kirche.

Norbert Jachtmann 2013 im Turm der Augusta-Viktoria-Kirche auf dem Ölberg in Jerusalem zwecks Inventarisierung der Glocken aller deutscher Kirchen in Jerusalem. Der Auftrag kam von der dortigen evangelischen Kirche.

Foto: Jachtmann.

Wurden in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg jährlich noch rund 100 neue Glocken gegossen, geschieht das heute nur noch etwa ein halbes dutzend Mal pro Jahr. "Bevor für eine Kirche in meinem Zuständigkeitsbereich - zwischen dem Bergischen Land und der niederländischen Grenze, zwischen der A 40 und dem Siebengebirge - eine Glocke gegossen wird, mache ich eine Bestandsaufnahme des vorhandenen Geläuts. So kann ich einen fundierten Vorschlag machen, in welchem Ton die neue Glocke konstruiert werden sollte. Beim Glockengießer besprechen wir dann zunächst die Größe und äußere Gestalt der Glocke, denn Inschriften und Relief-Darstellungen können nicht nach Belieben ausgesucht werden", erklärt der Glockenexperte.

Nach der Optik geht es an den Klang: "Im Einvernehmen mit der Gemeinde und dem Gießer wird der Schlagton festgelegt. Der Klangcharakter einer Glocke ist immer durch die Moll-Terz über dem Schlagton und den um eine Oktav tieferen Unterton bestimmt, die alle hörbar sind. Dann prüfte ich die neue Glocke, indem ich eine Stimmgabel zum Schwingen bringe und sie auf die Glocke setze. Und wenn sie mir dann richtig antwortet, kann sie ausgeliefert werden", formuliert der Musiker und Glockenexperte.

Das Video, das während des Kölner Klöppel-Absturzes vor dem Dom entstand, kann bei Youtube unter dem Kennwort "glosaver" angesehen werden.

(RP)
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