Handy am Steuer Im Blindflug über die Autobahn

Köln · Beim Thema "Handy am Steuer" versteht der Gesetzgeber keinen Spaß, ab sofort gelten schärfere Regeln. Wie viele tödliche Unfälle durch Smartphone-Nutzung verursacht werden, weiß niemand. Doch ein Blick in die Polizeistatistik zeigt: Die Dunkelziffer dürfte enorm sein.

 Unterschätzte Gefahr: Das Handy hinterm Steuer (Symbolbild).

Unterschätzte Gefahr: Das Handy hinterm Steuer (Symbolbild).

Foto: Monika Skolimowska

Ein Lastwagen-Fahrer rast auf der A4 Richtung Aachen ungebremst in ein Stauende. Die Kollision mit einem anderen Lkw überlebt der Mann nicht. Als Feuerwehrleute mit schwerem Gerät die beiden Sattelschlepper auseinanderziehen, sehen sie das Tablet, das zwischen der Windschutzscheibe und dem Gesicht des Toten klemmt.

Eine junge Frau aus Düsseldorf kracht auf der Autobahn am Kreuz Köln-Ost am Stauende mit vollem Tempo in einen Lastwagen. Das Auto der 24-jährigen rutscht bis zur Hälfte unter den Auflieger, der fängt Feuer. Die Frau hat keine Chance. Polizisten finden später ein Handy, es liegt auf dem Schoß der Toten. Im Display ist noch eine Nachricht zu sehen, die noch nicht fertig geschrieben ist.

Es sind zwei von vielen Unfällen, bei denen im ersten Moment rätselhaft ist, wie sie geschehen konnten. Weil helllichter Tag und gute Sicht war, Schilder vor einem Stau warnten oder die Strecke gerade war, ein Fahrer aber trotzdem das Lenkrad verzogen und so einen Unfall verursacht hat. Nicht immer finden sich hinterher klare Indizien dafür, dass die Fahrer durch Smartphone oder Tablet abgelenkt waren. Es spielt ja in den Fällen, die tödlich enden, auch keine Rolle mehr. Niemand ermittelt gegen einen Toten.

 Martin Lotz, 53, leitet die Verkehrsdirektion der Kölner Polizei.

Martin Lotz, 53, leitet die Verkehrsdirektion der Kölner Polizei.

Foto: Claudia Hauser

Die Kölner Polizei beobachtet seit Jahren, dass die Ablenkung durch Smartphones ein zunehmendes Problem wird. Martin Lotz ist Leiter der Verkehrsdirektion, er sagt: "Die Leute wollen ständig erreichbar sein, auf jede Kleinigkeit sofort reagieren, sie nutzen vor allem Staus und das Warten an Ampeln zum Telefonieren und Texten — leider tun sie es oft auch während der Fahrt." Seit Jahren gibt es immer mehr Unfälle in Köln und Leverkusen, bei denen die Ursache ungeklärt ist. In der Polizeistatistik tauchen sie als "Sonstige Unfälle" auf. "Seit 2008 haben wir in dieser Kategorie eine Zunahme von 75 Prozent", sagt Lotz. 2008 waren es 7900 ungeklärte Fälle, 2013 schon 8100 und im vergangenen Jahr 14.000 Fälle.

"Wir vermuten, dass bei den meisten dieser Unfälle Ablenkung durch das Smartphone eine Rolle gespielt hat." Aber auch Unfälle, bei denen etwa eine Biene im Auto war und der Fahrer hektisch wurde, werden in diese Kategorie eingeordnet. "Die Leute sagen uns hinterher nicht, dass sie sich vom Handy ablenken ließen, deshalb ist ein Nachweis so schwierig", sagt Lotz.

Die Polizei veröffentlicht immer wieder Rechenexempel, die zeigen, wie gefährlich das Simsen und Telefonieren während der Fahrt ist. Bei einer Geschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde legt ein Auto in einer Sekunde mehr als elf Meter zurück, bei Tempo 80 mehr als 20 Meter und bei Tempo 130 mehr als 36 Meter.

Wer eine Telefonnummer ins Handy tippt, ist durchschnittlich sieben Sekunden lang abgelenkt — bei 130 Stundenkilometern sind das mehr als 250 Meter, die der Fahrer schlicht im Blindflug zurücklegt. Ist die Nummer erstmal gewählt, schaut der Fahrer in der Regel immerhin wieder auf die Fahrbahn — wenn auch mit dem Handy am Ohr, das sieht beim Tippen von Nachrichten anders aus, die Ablenkung dauert hier wesentlich länger.

"Die Leute fahren dann unsauber, halten die Spur nicht, verlangsamen die Geschwindigkeit und schlingern teilweise, als wären sie betrunken", sagt Lotz. Das behindert den Verkehrsfluss, andere fahren auf. Oft sind es harmlose Unfälle in den Innenstädten, die durch Ablenkung passieren. Mit harten Zahlen lässt sich das alles nicht belegen. "Nur mit guten Zeugen können wir nachweisen, dass jemand durch sein Handy abgelenkt war."

Wer mit dem Handy am Steuer erwischt wird, muss künftig 100 Euro bezahlen und bekommt einen Punkt im Verkehrszentralregister, bisher waren es 60 Euro. Hat der Fahrer einen Unfall verursacht, sind es 200 Euro Bußgeld. Telefonieren oder smsen darf überhaupt nur, wer seinen Wagen abstellt und den Motor komplett ausschaltet. Das geht aus dem Gesetz hervor, das am 19. Oktober 2017 in Kraft tritt und diverse Änderungen im Bußgeldkatalog mit sich bringt.

6543 Verstöße in Köln und Leverkusen

Im ersten Halbjahr 2017 ahndete die Polizei in Köln und Leverkusen 6543 folgenlose Verstöße, im selben Zeitraum waren es im vergangenen Jahr 6230. "Auch das ist für uns ein Indiz dafür, wie sich die Fälle entwickeln", sagt Lotz.

Bei 30 schweren Unfällen hat die Kölner Polizei im vergangenen Jahr Mobiltelefone sichergestellt, weil die Vermutung nahe lag, dass es eine Rolle gespielt haben könnte. "Es ist allerdings äußerst selten, dass da eine angefangene Textnachricht offen ist und man klar sagen kann: Das war der Grund." Ob der Fahrer telefoniert hat, lässt sich anhand der Handydaten nachvollziehen, nicht aber, ob er vielleicht Facebook gecheckt hat oder anderweitig im Netz unterwegs war. Die Auswertung eines Handys muss die Staatsanwaltschaft anordnen. Und das tut sie regelmäßig nicht, wenn der Unfallverursacher ums Leben gekommen ist.

Die Düsseldorfer Autobahnpolizei hat am Dienstag bei einer Schwerpunktkontrolle auf der A57 innerhalb von zwei Stunden 66 Fahrer mit Handy hinter dem Steuer erwischt. Die Einsicht der Autofahrer ist nicht besonders groß. Martin Lotz hofft, dass Gesetze nachgebessert und klarer formuliert werden, die Bußgelder weiter steigen — und die Leute den Sinn des Verbots erkennen und ein Bewusstsein für die Gefährlichkeit entwickeln. In Spanien sind schon heute 100 Euro fällig, wenn man als Autofahrer das Handy auch nur berührt hat.

"Früher war das Anschnallen ein Riesenproblem — heute ist es selbstverständlich und hat viele Leben gerettet", sagt er. Die Technik werde es eines Tages möglich machen, dass ein Mobiltelefon im Auto genutzt werden kann, ohne den Fahrer abzulenken. "Bis es soweit ist, können wir nur versuchen, ein Bewusstsein für das Risiko zu schärfen, das die Spielerei mit dem Handy mit sich bringt."

(hsr)
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