Inflationszeit im Kreis Kleve Viel Zaster für wenig Brot

Kleverland · Vor 100 Jahren wurden im Kreis Kleve die ersten Notgeldscheine gedruckt. 1923 erreichte die Inflation ihren Höhepunkt. Auch Klever Unternehmen druckten kistenweise Geld mit atemberaubenden Werten. Sammler Jos Eijsermans gibt Einblick in die „Schein-Welt“.

 Jos Eijsermans aus Hasselt gibt Einblick in seine bemerkenswerte Sammlung.

Jos Eijsermans aus Hasselt gibt Einblick in seine bemerkenswerte Sammlung.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Bereits im zarten Alter von zwölf Jahren war Jos Eijsermans Multi-Millionär. Zumindest auf dem Papier. „Die Scheine mit den hohen Werten haben mich damals schon begeistert“, erzählt der gebürtige Limburger. Wobei das mit den Werten relativ ist – so wie bereits zu den Zeiten, in denen die Scheine als gültiges Zahlungsmittel im Umlauf waren. Denn zum Höhepunkt der Inflationszeit kosteten beispielsweise ein Ei 70 Milliarden Mark, ein Pfund Mehl 800 Milliarden – und ein 1,3 Kilogramm schweres Brot eine Billion Mark.

 Dieser Geldschein von 1923 ist mit fünf Billionen Mark dotiert. Der Schein war damals allerdings nur wenig wert.

Dieser Geldschein von 1923 ist mit fünf Billionen Mark dotiert. Der Schein war damals allerdings nur wenig wert.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Geldscheine insbesondere aus dem Jahr 1923 zeugen bis heute von der Inflation, die zu Folge hatte, dass Arbeiter zweimal am Tag ihren Lohn ausgezahlt bekamen, um sich überhaupt noch etwas davon kaufen zu können. Menschen gingen mit Schubkarren voller Geldbündel einkaufen. Wer viel gespart hatte, verlor alles – und Schulden lösten sich „über Nacht“ in Luft auf. Ausgelöst wurde die Inflation durch den Ersten Weltkrieg, den das damalige Deutsche Reich auf Pump finanziert hatte. Hohe Reparationszahlungen nach dem Krieg sowie die Besetzung des Ruhrgebiets mit dem damit einhergehenden Arbeiterstreik ließen aus der schleichenden eine galoppierende Inflation werden: Das Geld war nichts mehr wert, einzig Sachgüter zählten.

 Wahrlich um Notgeld handelt es sich bei dem blauen  Zehn-Pfennig-Schein  der Stadt Goch. Auch geringe Beträge wurden auf Papier gedruckt – aus Mangel an Metall. Als „Serienschein“ ist dieser ein Sammlerstück.

Wahrlich um Notgeld handelt es sich bei dem blauen Zehn-Pfennig-Schein der Stadt Goch. Auch geringe Beträge wurden auf Papier gedruckt – aus Mangel an Metall. Als „Serienschein“ ist dieser ein Sammlerstück.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Selbst Pfennig-Werte wurden bereits in den Jahren vor der Hyperinflation überwiegend auf Papier gedruckt, weil es nach dem Krieg an Metall für Münzen mangelte. Der Begriff „Notgeld“ trifft es dort ganz besonders. Später wurden Pfennige gar nicht mehr berücksichtigt; es ging nur noch um Millionen, Milliarden und Billionen Mark.

 Zwei Millionen Mark – durchgestrichen und korrigiert in 20 Millionen: Der Geldschein aus Emmerich (ganz oben) wurde überdruckt.

Zwei Millionen Mark – durchgestrichen und korrigiert in 20 Millionen: Der Geldschein aus Emmerich (ganz oben) wurde überdruckt.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Jos Eijsermans weiß um all diese Dinge, sammelt er doch seit vielen Jahrzehnten Geldscheine aus dieser Zeit. Seit zwölf Jahren wohnt er im Bedburg-Hauer Ortsteil Hasselt, von dem aus der ehemalige Bank-Mitarbeiter seine Sammlung hegt und pflegt. Sie umfasst auch viele Hundert Inflationsgeldscheine aus Kleve und Umgebung, die er fein säuberlich in Alben einsortiert hat. Der 63-Jährige organisiert mit der „Paper Money Fair“ Maastricht zweimal jährlich große Börsen, auf denen sich Banknoten-Sammler aus aller Welt treffen. Geldscheine aus der Inflationszeit, die im Kleverland im Umlauf waren, sammelt er in allen Variationen, die es gibt. Rund 100 sind es allein in Kleve selbst. „Die Reichsbank kam während der Inflation mit dem Gelddrucken nicht mehr hinterher. Kreise, Städte, Gemeinden – sogar Unternehmen haben ihr eigenes Geld gedruckt“, sagt Eijsermans, der etwa Scheine der Magarine-Gesellschaft „Van den Bergh“ und der Schokoladenfabrik Bensdorp besitzt – allesamt mit atemberaubenden Werten. „Heute ist ein normaler Millionen-Mark-Schein aus dieser Zeit unter Sammlern vielleicht 1,50 Euro wert. Es sei denn, es handelt sich um eine rare Variante“, sagt Eijsermans. Ein Wechsel in Euro ist nicht möglich.

„Fünfzig Millionen Mark“ – ein Geldschein der Margarine-Gesellschaft „van den Bergh“ Kleve.

„Fünfzig Millionen Mark“ – ein Geldschein der Margarine-Gesellschaft „van den Bergh“ Kleve.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Den aufgedruckten Werten der Geldscheine in seiner Sammlung zufolge müsste Eijsermans inzwischen eigentlich Multi-Billionär sein. „In den letzten Monaten der Inflation wurden vielerorts Billionen-Mark-Scheine gedruckt – auch in Kleve.“ Die am höchsten dotierte Note trägt die Aufschrift „Fünf Billionen“; Goch gab bereits bei 20 Millionen auf. Emmerich soll sogar einen Zehn-Billionen-Mark-Schein aufgelegt haben, andere Städte gingen bis 100 Billionen. Um den 20. November 1923 war Schluss: Die Einführung der Rentenmark beendete den Spuk. „Für fünf Billionen Mark bekam man fünf Rentenmark“, sagt Sammler Jos Eijsermans.

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