Gemeinde Grefrath Wie sich der Krieg auf die Heimat auswirkt

Gemeinde Grefrath · Die neue Sonderausstellung "Heimatfront Niederrhein" führt im Freilichtmuseum Grefrath die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren auf die Bevölkerung im Kreis Viersen vor. Zu sehen sind viele private Leihgaben.

 Neben der Ehrentafel für die 1914-1918 gefallenen Soldaten aus Grefrath (von links:) Museumsleiterin Anke Wielebski, Landrat Peter Ottmann, Kulturdezernent Dr. Andreas Coenen und Volontärin Anisha Mülder-van Elten.

Neben der Ehrentafel für die 1914-1918 gefallenen Soldaten aus Grefrath (von links:) Museumsleiterin Anke Wielebski, Landrat Peter Ottmann, Kulturdezernent Dr. Andreas Coenen und Volontärin Anisha Mülder-van Elten.

Foto: WOLFGANG KAISER

Die Mobilmachung für den Krieg fiel in die Erntezeit. Die Männer im wehrfähigen Alter mussten in die Kasernen und fehlten auf den Feldern. Jetzt mussten es Frauen, Kinder und die Alten alleine schaffen. Doch die Versorgungssituation der Bevölkerung mit Lebensmitteln wurde besonders in den Städten immer schlechter. Der Niederrhein grenzt direkt an die neutralen Niederlande. Schnell entwickelte sich ein schwungvoller Schmuggel von Lebensmitteln über die grüne Grenze.

"Heimatfront Niederrhein" heißt die neue Ausstellung des Niederrheinischen Freilichtmuseums, die sich aktuell zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren mit den Auswirkungen des Krieges direkt vor Ort in Viersen, Kempen, St. Tönis oder Nettetal auseinandersetzt. Ein Aufruf des Museums in den Medien, zu Hause nach alten Erinnerungsstücken zu suchen und sie dem Museum auszuleihen, hat gefruchtet. Rund die Hälfte der 200 Exponate und Fotografien stammen aus Privatbesitz. Das Plakat zur Ausstellung zeigt ein Foto von der Mobilmachung am 6. August 1914. Eine Truppe feldgrauer Soldaten mit Pickelhauben und Gewehren hat sich in der Langen Straße in Dülken versammelt.

Museumsleiterin Anke Wielebski umschreibt den Kreislauf dieser Ausstellung: Auf Patriotismus und anfänglicher Kriegsbegeisterung folgen sehr schnell Ernüchterung, Not und die ersten Verwundeten und Gefallenen. Bei der Vorbesichtigung gestern erinnerte Landrat Peter Ottmann an die Aktualität dieser Ausstellung, wenn man an die brenzlige Situation in der Ukraine denke. Und Kreisdirektor Dr. Andreas Coenen wünscht der Ausstellung besonders viele junge Besucher, ob mit der Schule oder alleine mit den Eltern. Museumsleiterin Anke Wielebski hat dazu ein eigenes museumspädagogisches Programm ausgearbeitet.

 In einer Vitrine sind das Ritterkreuz und ein Pferdeknochen-Souvenir 1916 aus Sedan des Soldaten Hermann Josef Winkens aus St. Tönis ausgestellt.

In einer Vitrine sind das Ritterkreuz und ein Pferdeknochen-Souvenir 1916 aus Sedan des Soldaten Hermann Josef Winkens aus St. Tönis ausgestellt.

Foto: Kaiser, Wolfgang (wka)

So wurden exemplarisch sechs Biografien von Soldaten ausgewählt und präsentiert, über Kopfhörer kann man vorgelesene Feldpostbriefe hören. Und interessant ist gerade für junge Besucher, wie die Propaganda nicht vor dem Kinderzimmer haltmachte. Die Begeisterung für die Marine machte Matrosenanzüge und -kleidchen zum Renner in der Kindermode. Eine Karikatur zeigt, wie ein kleines Mädchen an das Hindenburg-Porträt gerichtet betet: "O Hindenburg, tu weiter siegen, damit wir Kinder wieder schulfrei kriegen." Später bekamen die Kinder schulfrei, um Altpapier oder Eicheln und Kastanien zu sammeln. Den Jungen schenkte man das Kriegsspiel "Artilla", patriotische Bücher wie "Nesthäkchen und der Weltkrieg" oder "Jungens! Frisch drauf" mit den Erlebnissen von Kriegsfreiwilligen sorgten für die gewünschte Erziehung.

Anisha Mülder-van Elten, wissenschaftliche Volontärin am Freilichtmuseum, hat zusammen mit Studenten des Historischen Seminars der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in den Archiven des Kreises und der Städte geforscht. So wurden Zeitungsberichte gefunden, die über den ersten Gefallenen aus dem Gebiet berichten: Er stammt aus Viersen und fiel bereits in der Nacht vom 5. auf den 6. August, drei Tage nach der Kriegserklärung an Frankreich. Erstaunlich, dass der patriotische Weihnachtsbaumschmuck bis heute heil geblieben ist und aufgehoben wurde. Auch skurrile Stücke wie der Pferdeknochen, aus dem Soldaten ein Erinnerungsstück aus Sedan an die Somme-Schlacht machten, sind zu finden.

Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Sie beginnt mit einem Reservisten-Kaffeeservice mit vaterländischen Motiven und einer Postkarte "Gruss aus Kempen", die 1893 mit dem Turnerbund wirbt. Nach der Mobilmachung gibt es Plakate, die die Bevölkerung zur Land- oder Bürgerwehr aufrufen. Sehr drastisch sind zwei Krankenliegen und Prothesen ausgestellt, die für die Verletzungen der Soldaten stehen.

Exemplarisch wird das Soldatenleben von Hermann Josef Winkens aus St. Tönis gezeigt, mit Ehrenkreuz für Frontkämpfer, Eisernem Kreuz zweiter Klasse und Fotos von der Front. Ein Gebet seiner Frau behielt er bis ins hohe Alter als Talismann in seinem Portemonnaie. Die Anrather Brüder Alexander und Karl Lücker von der Kaffeefabrik Emil Lücker meldeten sich freiwillig an die Front, nur einer kam zurück. Von Hermann Wichterich aus St. Tönis, der an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, sind düstere Gemälde von der Front zu sehen. Eine gelungene, lohnenswerte Ausstellung, die auf jeden Fall einen Besuch lohnt.

(RP)
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