Duisburger Geschichte und Geschichten Holbein und der verzerrte Totenschädel

Duisburg · Hans Holbein der Jüngere setzte sich in seiner Arbeit mit dem Thema Perspektive auseinander. Er wurde damit künstlerischer Vorreiter in einer Zeit voll konfessionellem Chaos.

 Hans Hol­beins Gemäl­de „Die Gesand­ten“, datiert im Jahr 1533, wurde zu einer Ikone ana­morpho­tischer Kunst. Der verzerrte Totenschädel am unteren Bildrand gab Anlass für allerhand Spekulationen.

Hans Hol­beins Gemäl­de „Die Gesand­ten“, datiert im Jahr 1533, wurde zu einer Ikone ana­morpho­tischer Kunst. Der verzerrte Totenschädel am unteren Bildrand gab Anlass für allerhand Spekulationen.

Foto: Repro: Billerantik.de

Hans Holbein d.J. und andere Künstler der Renaissance setzten sich im 16. Jahrhundert intensiv mit den Problemen der Perspek­tive auseinander. Mit der exakten geometrischen Lösung für einen perspektivischen Bildaufbau ging die Erfindung der Anamorphose (umgeformtes, verzerrtes Bild) einher. Das verzerrt dargestellte Objekt kann erst unter einem bestimmten Blickwinkel erkannt werden.

Zu einer Ikone ana­morpho­tischer Kunst wurde Hans Hol­beins Gemäl­de «Die Gesand­ten», datiert im Jahr 1533. Wie auch in anderen Portraits Holbeins steht die detailgetreue Wiedergabe von Personen und Attributen wie Bekleidung und Ausstattung im Vordergrund. Das Bild „Die Gesandten“ spiegelt das neue humanistisch geprägte Selbstbewusstsein des Menschen wider. Die beiden französischen Diplomaten am Hof Heinrichs VIII. von England werden als Repräsentanten einer hochgestellten Bildungsschicht und Liebhaber der Wissenschaften portraitiert. Der Globus, der bereits Amerika zeigt, kann quasi als Motiv für das neue Weltbild gesehen werden. Glaube, Religion, Liebe zur Musik und den mathematischen Wissenschaften zeichnet die beiden Gesandten aus – und das in Zeiten des konfessionellen Chaos.

Zu einem eher irritierenden Detail am unte­ren Bild­rand muss der zum Anamorph verzerrte Totenschädel gezählt werden. Erst bei einem aus extremer Nahsicht von rechts nach links unten im Blickwinkel von 27 Grad verwandelt sich der „verzerr­te Fleck“ in einen Toten­kopf. Er könnte als Symbol der Vergänglichkeit und des allgegenwärtigen Todes interpretiert werden – aber ein wenig rätselhaft bleiben Holbeins Bildbotschaften doch. Vielleicht wollte er auch den Zwiespalt zwischen Demut und Selbstbewusstsein auf die Spitze treiben?

Zurück zur Anamorphose: Ein verzerrtes Bildformat wird auch für Visualisierungen in der Kartographie genutzt. In Stadtplänen wird bisweilen der Bereich des Stadtzentrums in größerem Maßstab als die Randgebiete der Stadt dargestellt. Solche Verzerrungen finden sich auch im Corputiusplan aus dem Jahr 1566. Vielleicht ließ sich Gerhard Mercator bei seiner genialen Weltkarte durch anamorphe Darstellungen in der Kunst und Mathematik inspirieren? Bei der „Mercatorprojektion“ treten größere Verzerrungen in Polnähe auf, um Winkel- und Richtungstreue zu gewährleisten. Sie folgt anderen Algorithmen als das Anamorph, aber die Technik der Verzerrung diente vielleicht als Impulsgeber für den großen Kartographen. Mercators Netzwerk umfasste damals Mathematiker, Kupferstecher, Bildhauer und Hersteller optischer Geräte – ein Brutkasten für Innovationen. Fest steht, in der Renaissance auf vielen Gebieten das Tor zur Wissenschaft mit neuen Anwendungen aufgestoßen wurde.

 Der Totenschädel von der Seite aus fotografiert.

Der Totenschädel von der Seite aus fotografiert.

Foto: Harald Küst

In unserem Alltag begegnet man auf Straßenflächen anamorphisch aufgebracht Verkehrszeichen. Zum Beispiel Zahlen, Pfeile und Zebrastreifen, da man als Auto- oder Radfahrer aus einem flachen Winkel auf die Straße schaut. Weitere Anwendungen: Werbetafeln, Deckenmalereien in Kirchen und Schlössern, Straßenmalereien, aber auch meisterhafte anamorphotische Bilder des Künstlers Istvan Orosz. In der digitalen Bildformatumwandlung werden die Algorithmen der Anamorphose ebenfalls genutzt.

(Küst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort