Ruhrtriennale Duisburg Doku-Spektakel mit Massive Attack und BBC-Filmer

Duisburg · Es war zu erwarten, dass die Kultband Massive Attack keinen klassischen Bühnenauftritt bei der Ruhrtriennale abliefern würde. Was die Band zusammen mit einem britischen Dokumentarfilmer bot, war ein traumatischer Abgesang auf die Weltpolitik.

Ruhrtriennale: Intendant stellt Programm vor
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Die Menschen haben den Glauben an die Veränderbarkeit der Welt verloren. Stattdessen managen sie die Welt, um jegliche Zukunftsrisiken zu vermeiden. Dieses Projekt aber ist zum Scheitern verurteilt. Das ist die These des in Deutschland wenig bekannten, in Großbritannien aber gefeierten BBC-Dokumentarfilmers Adam Curtis. In einem außergewöhnlichen "Ciné-Concert" präsentierte die britische Kultband Massive Attack am Donnerstagabend bei der Ruhrtriennale in Duisburg ein Filmkonzert mit von Curtis meisterhaft montierten traumatisch wirkenden Bildern der Weltpolitik der vergangenen 40 Jahre.

Die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986, die Hinrichtung des Ehepaars Ceausescu, Putins Aufstieg, die Taliban in Afghanistan, die Anschläge vom 11. September 2001 prasseln als schnell geschnittene Bildfolgen auf den Zuschauer ein. Plakative Schlagwörter und Thesen flimmern vervielfacht über die Leinwände, ebenso wie Bambi oder Donald Trump. Eine Stimme aus dem Off erzählt Curtis' Geschichte über den vergeblichen Versuch, die Welt zu managen.

Kein klassisches Bühnenkonzert

Die Show "Massive Attack V Adam Curtis" ist kein klassisches Bühnenkonzert der Trip-Hop-Band aus Bristol, deren sphärisch-düstere Musik einem breiteren Publikum als Hintergrundmusik etwa der TV-Serie "Dr. House" bekannt ist. In der Popmusik-Szene gilt Massive Attack als stilbildend. Und so plante Ruhrtriennale-Intendant Heiner Goebbels die vier einzigen Deutschland-Auftritte in der riesigen Industriehalle eines ehemaligen Stahlwerks in Duisburg ein - die perfekte Kulisse für einen pessimistischen Abgesang auf die Weltpolitik.

Curtis nennt die Show eine "musikalische Unterhaltung über die Macht der Illusion und die Illusion der Macht". Viele der rund 2000 Zuschauer reagierten allerdings zunächst verstört, weil Massive Attack eineinhalb Stunden nur hinter einer transparenten Leinwand spielt.

Visuelles Zentrum der Show, die beim Manchester Festival gefeiert wurde und noch nach New York reisen wird, ist eine atemberaubende Filmcollage auf elf überdimensionalen Leinwänden. Diese stehen in einem Oval, und die Zuschauer finden sich mittendrin in einer rasend schnellen Abfolge der Geschichte seit 1960. Da geht es anfangs um die sowjetische Planwirtschaft und den Traum der USA, in der Wüste Afghanistans Modellstädte zu errichten.

Weltpolitik als Spiel zweier Pole

Russland und Amerika sind die beiden Pole. Am Beispiel einer der ersten Punkbands der Sowjetunion, Graschdanskaja Oborona (Bürgerwehr), und der englischen Pop Art-Künstlerin Pauline Boty, die auf eine Krebstherapie verzichtete, um ihr ungeborenes Kind zu retten, illustriert Curtis den Verlust der Utopien auch an ergreifenden persönlichen Schicksalen.

Anders als in einem Musikkonzert, das ein Gemeinschaftsgefühl im Publikum schafft, wird der Zuschauer mit den apokalyptischen Bildern zu dem sphärischen Massive-Attack-Sound in der Show alleingelassen.
Verloren steht man da, wenn Massive Attack zu den Bildern von Krieg und Terror düstere Bässe und Beats zu einem ohrenbetäubenden Klangteppich verstärkt. Das wummert im Magen und man hat das Gefühl, im Zentrum einer der zahllosen auf den Leinwänden gezeigten Explosionen zu stehen.

Dann wieder gibt es auch absurd-bizarre Momente, etwa wenn Bilder der Ex-Kommunistin Jane Fonda als Aerobic-Trainerin gezeigt werden.
Dem Fitness-Kult werden Bilder der Ceausescu-Exekution gegengeschnitten, begleitet von den treibenden Beats der Coverversion des Jesus-and-Mary-Chain-Songs "Just like Honey". Am Ende kommt Melancholie auf, wenn Elizabeth Fraser (Cocteau Twins) mit heller Sopranstimme auf Russisch ein trauriges Liebeslied singt.

Curtis' Doku-Roman vom Scheitern der Utopien verwandelt sich in ein Requiem. Am Schluss ist der Applaus heftig und kurz. Man muss erst einmal durchatmen. Eine Zugabe gibt Massive Attack nicht.

(dpa)
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