Schule und Bildung in Düsseldorf Historiker erwecken Schriften aus dem Mittelalter zu neuem Leben

Jahrzehnte lagerten die Schätze der Kreuzherrenbibliothek in den Katakomben der ULB. Ein Verbundprojekt ermöglicht nun die Rekonstruktion der bedeutenden Sammlung.

 Anne Liewert, Marie-Isabelle Schwarzburger und Eva Schlotheuber blättern in einem der wertvollen Bände

Anne Liewert, Marie-Isabelle Schwarzburger und Eva Schlotheuber blättern in einem der wertvollen Bände

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Einst soll es im 16. Jahrhundert eine Marienstatue im historischen Stadtkern Düsseldorfs gegeben haben. Unweit der Kreuzherrenkirche, zwischen Ursulinengasse und Ratinger Straße, soll sie gestanden und bei den Pilgern wahre Wunder vollbracht haben. Blinde konnten bei Berührung der Statue wieder sehen, Kranke sollen geheilt worden sein – so jedenfalls schreibt es der Autor, ein Bruder vom Orden des Heiligen Kreuzes, im Jahre 1514 in seinem Werk „Düsseldorfer Wunder“. Die Predigtsammlung gehört damit zu den ältesten, noch erhaltenen Handschriften Düsseldorfs. Das verblichene Leder und die rissigen Pergamentseiten zeugen von ihrem Alter, doch Handschuhe zieht Marie-Isabelle Schwarzburger beim Blättern nicht an. Die Seiten seien nämlich so verfranst, dass die Baumwollfasern hängen bleiben und weiteren Schaden anrichten könnten. „Hier braucht man deshalb viel Fingerspitzengefühl“, sagt sie.

Das Werk ist Teil einer bedeutsamen Sammlung, die Historiker gerne als Goldgrube bezeichnen. Unbemerkt lagerten die Bände jahrzehntelang in den Katakomben der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) – bis sie nun in die Hände von Schwarzburger gerieten. Seit November ist die Historikerin im Rahmen ihrer Promotion damit beschäftigt, diesen historischen Schatz aus der Handschriftensammlung der ULB zu rekonstruieren. Gemeint sind insgesamt 92 Handschriften und 157 Druckerzeugnisse, die der Sammlung des Kreuzherrenordens zugeordnet werden. Im Zuge der Säkularisierung kamen die Bestände des Düsseldorfer Klosters zusammen mit denen weiterer Kreuzherrenkonventen zur königlichen Landesbibliothek, dem Vorgänger der heutigen ULB. Doch erst die in den vergangenen Jahren erfolgte Digitalisierung des großen, bibliothekseigenen Bestandes mittelalterlicher Handschriften rückte die historischen Zeugnisse wieder in den Fokus. „Bisher wurden die Bände noch nie wirklich aufgearbeitet“, erklärt Anne Liewert, die den Digitalisierungprozess damals betreute. „Dabei bieten sie sich für die Düsseldorf-Forschung sehr gut an, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.“

Darum kümmert sich nun Schwarzburger, die die vom Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte angestoßene und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Rekonstruktion leitet. „Gerade die Düsseldorfer Sammlung gilt als die bedeutendste aller Kreuzherrenklöster. Die Mönche ließen sich um 1443 als erst zweites Kloster hier in der Stadt nieder. Wahrscheinlich auf Wunsch der Grafen vom Berg, die das intellektuelle Profil der Stadt schärfen wollten, da dem Orden eine große Nähe zum Humanismus nachgesagt wurde“, sagt Lehrstuhlinhaberin Schlotheuber. Die Werke wie die „Düsseldorfer Wunder“ erlauben also nicht nur Rückschlüsse auf lokale Geschehnisse. Sie eröffnen auch die Möglichkeit, das religiöse Profil des Ordens weiter zu erforschen. Und daraus wiederum Erkenntnisse zu den Denk- und Bildungsstandards der spätmittelalterlichen Bevölkerung in Düsseldorf zu ziehen.

„Die größte Herausforderung ist es, die Schrift zu lesen und zu erkennen, aus welchem Kloster sie stammt“, erklärt Schwarzburger. Dabei bereiten die gedruckten Erzeugnisse weniger Probleme, denn die klostereigene Buchbinderwerkstatt hinterließ in den Werken ihr „Markenzeichen“. „Da muss man genau auf kleine Merkmale achten.“ Etwa auf das damalige Wappen der Stadt, das sich in den ältesten Werken noch ohne den bergischen Löwen präsentiert. Ein Mönch hinterließ zudem persönliche Kommentare oder Anmerkungen in Form einer Geheimschrift in den kopierten Werken, die es zu entschlüsseln gilt. Zwei Jahre hat Schwarzburger nun Zeit, sich mit diesen Details für die Rekonstruktion zu befassen. Auch Studierende sollen in Form von Seminaren in den kommenden Semestern beteiligt werden. Dann sollen die Fotografien des Bestands mitsamt den Erkenntnissen zur Entstehungsgeschichte in einem Infoportal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

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