Düsseldorf Der Kapitän verlässt das Cockpit

Düsseldorf · Binnen 20 Jahren machte der Düsseldorfer Joachim Hunold aus der kleinen Fluglinie Air Berlin einen weltweit operierenden Konzern. Dem hemdsärmeligen Flugpionier kam dabei vor allem sein Talent als Netzwerker und Verkäufer zugute. Das macht ihn zu einer einzigartigen Unternehmerpersönlichkeit in der deutschen Wirtschaft.

Als Joachim Hunold 60 Jahre alt wurde im September 2009, war Thomas Gottschalk da, Johannes B. Kerner sowieso. Friede Springer kam nach Sylt, ebenso Franz Beckenbauer, Til Schweiger, Gunter Sachs und Sabine Christiansen. Neben Franziska van Almsick saß ein Ölscheich. Christian Wulff schickte seine Ehefrau Bettina. Die Politiker konnten nicht kommen – Termine im Bundestagswahlkampf. Marius Müller-Westernhagen gab ein Privatkonzert. Das Dinner wurde im Riesenzelt serviert, später im Prominentenlokal "Sansibar" gefeiert.

Als im selben Jahr seine Air Berlin 30 Jahre alt wurde, bemühte sich neben vielen anderen Wichtigen Angela Merkel in ein Berliner Hotel. Die Kanzlerin blieb bis nach der Vorspeise, im inoffiziellen Berliner Protokoll der Ritterschlag.

Als Joachim Hunold vor zwei Jahren beim Blick in den Spiegel nicht mehr zufrieden war, nahm er binnen Monaten mit einer ausgetüftelten Diät Dutzende Kilogramm ab. Er lachte nur zufrieden, wenn sich Leute besorgt erkundigten, was er denn für eine Krankheit habe.

Als Joachim Hunold in diesem Jahr an der Schulter operiert wurde, musste er eine Armschiene tragen. Er hätte sich auskurieren können. Stattdessen ließ er sich an der Schiene Halterungen für seine zwei Blackberry-Handys anbringen, um weiter arbeiten zu können.

Joachim Hunold, der jetzt die Spitze des von ihm geschaffenen Luftfahrtunternehmens Air Berlin verlässt, hat in seinem wundersamen Leben viele Titel verliehen bekommen. Die meisten trägt er zu Recht: Flugpionier, Gewerkschaftsfresser, Billigflieger, Dinosaurier oder schlicht ein Typ.

Vor allem aber ist Hunold ein Netzwerker. Einer, der mit den Menschen kann – und die mit ihm. Die in der Regel mit viel Averna-Kräuterschnaps besiegelte Freundschaftsbekundung ist niederrheinisch knapp: "Ich bin der Achim."

Seine Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte beginnt in Düsseldorf. Dort wurde Hunold am 5. September 1949 geboren. Mittelschicht, die Eltern legen Wert auf eine ordentliche Erziehung, Manieren, Eigenverantwortung. Hunold macht 1970 Abitur, studiert lustlos Jura. Lieber absolviert er sein "Psychologiestudium", wie er seine Jahre als Köbes in der Düsseldorfer Altstadt nennt.

Zur gleichen Zeit macht sich ein anderer Düsseldorfer Junge im Stadtteil Heerdt auf, eine Musikkarriere zu starten. Er heißt Marius Müller-Westernhagen. Fortan zieht Hunold mit dem Rockmusiker als dessen Aufbauhelfer durch die Lande. Das sei seine "verrückteste Zeit" gewesen, sagt Hunold, der heute noch jeden Westernhagen-Hit mitsingen kann.

Von 1978 an arbeitet Hunold als Gepäckverlader auf dem Düsseldorfer Flughafen, wird stellvertretender Stationsleiter, wechselt 1982 in die Verkaufsabteilung der LTU. Vom damaligen Verkaufsleiter lernt Hunold so schnell, dass er diesen bald ablöst und bis an die Unternehmensspitze aufsteigt. Dann erlebt Hunold das erste Mal, dass es auch noch Stärkere gibt als ihn selbst. WestLB-Chef Friedel Neuber, der die LTU kontrolliert, wirft Hunold raus. Zwei Alphamänner bei einer Fluglinie sind einer zu viel.

Hunold lernt erst einmal Golfen, als alle noch Tennis spielen, auch da ist er Pionier. 1991 übernimmt er zwei Flugzeuge und gründet eine kleine Fluglinie – Air Berlin; kauft bald eine neue Boeing. "Mehr als zwei, drei Flugzeuge" sollen es nicht werden, meint er. Heute hat Air Berlin 168 Jets und rund 9000 Mitarbeiter. Der Konzernsitz ist ein schmuckloser Bau in der Nähe des Berliner Flughafens Tegel. In der Hauptstadt hat Hunold eine Wohnung. Ansonsten lebt er mit seiner zweiten Ehefrau Michaela, die er in der Düsseldorfer Diskothek "Sam's" kennenlernte, in der einst auch Claudia Schiffer entdeckt wurde, sowie den drei Söhnen und einer Tochter im Alter von neun bis 15 Jahren in seiner Heimatstadt.

Air Berlin ist kein normales Unternehmen. Es trägt Hunolds DNA in sich. Alles muss über "Achims Schreibtisch". Zu den bis zu acht Weihnachtsfeiern für Mitarbeiter fliegt er ein, bleibt lange. Er duzt viele, vertraut vor allem hemdsärmeligen Weggefährten wie seinem langjährigen Kommunikationschef Peter Hauptvogel, der ihn zu einer Größe in den Medien aufbaut.

Seine häufigen Auftritte auf dem roten Teppich legen ihm Kritiker als Geltungssucht aus. Allerdings ist Hunold auch immer erster Werbeträger seiner Fluglinie, Mr. Air Berlin. Seine Fluglinie sponsert von "Wetten, dass..?" bis zur Reiter-Weltmeisterschaft CHIO in Aachen, vom Düsseldorfer Prinzenball bis zu Fortuna Düsseldorf vieles. Dass auf gesellschaftlichem Parkett der herbe Charme Hunolds nicht immer zur Geltung kommt, zeigte sein verunglückter Auftritt bei der Aachener Ordensverleihung als "Ritter wider den tierischen Ernst". Hunold funktionierte ihn zur Werbeveranstaltung um, die übertragene ARD und andere Sponsoren reagierten empört.

Glattschleifen lässt sich Hunold jedoch von keinem seiner Berater, die in jüngster Zeit häufiger wechseln. Kritische Journalisten geht er hart an, missliebige Politiker verdrischt der bekennende Konservative in der Kolumne seines Bordmagazins. Gewerkschaftsvertreter klagen ebenfalls über raue Töne. Wer ihm aber ähnlich lautstark widerspricht, erwirbt seinen Respekt und erfährt erstaunt, dass Hunold auch zuhören und diskutieren kann.

Was aus Hunold wird? Derzeit managt er nebenbei ein italienisches Terzett namens "Appassionante". Die Operndiven singen schwülstigen Pop. Mit dieser Aufgabe dürfte sich der jetzt 61-Jährige also schnell langweilen. Hunold bleibt ein Rocker.

(RP)
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