Deutschland An diesen vier Zipfeln endet Deutschland

List auf Sylt, Görlitz, Oberstdorf und Selfkant: Diese Orte haben gemeinsam, dass sie die äußersten Punkte der Republik bilden. Wer sie alle bereist, erhält eine Auszeichnung.

 In der Nähe von Oberstdorf im Allgäu, dem südlichen Zipfelort Deutschlands, können Wanderer das Fellhorn erklimmen.

In der Nähe von Oberstdorf im Allgäu, dem südlichen Zipfelort Deutschlands, können Wanderer das Fellhorn erklimmen.

Foto: dpa-tmn/Karl-Josef Hildenbrand

Der Mensch ist ein Sammler und der Reisende vielleicht noch ein bisschen mehr. Exotische Stempel im Pass jedoch lassen sich auf absehbare Zeit eher nicht sammeln. Doch auch in Deutschland können Entdecker auf die Jagd gehen – ganz im Norden, Süden, Westen und Osten der Republik. Wer die vier Zipfel des Landes besucht hat, bekommt eine kuriose Auszeichnung: den Zipfelpass.

Im Mai 1998 schlossen sich die vier Orte an den äußersten Ecken Deutschlands zum Zipfelbund zusammen: List auf Sylt im Norden, Görlitz im Osten, Oberstdorf im Süden und Selfkant im Westen. Im Jahr darauf bei den Feiern zum Tag der Deutschen Einheit wurde die Partnerschaft unter den Augen der Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (Sachsen) und Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) beurkundet.

Herbert Corsten, 70, war lange Zeit Bürgermeister von Selfkant. „Für Selfkant ist der Zipfelbund mehr als nur eine Touristenattraktion“, sagt er. Denn der Ort existiert erst seit 1969 als eigenständige Gemeinde und gehört erst seit August 1963 zur Bundesrepublik. Vorher hatte das Gebiet ab 1949 unter niederländischer Verwaltung gestanden. „Wir bilden den kommunalen Rahmen der Republik“, steht in einer Festschrift des Zipfelbundes.

Auch Touristen sollen zu den Zipfeln Deutschlands reisen, ein Anreiz dafür musste her. Die Lösung war der Zipfelpass. Das Dokument misst 9 mal 12,5 Zentimeter, umfasst 22 Seiten und ähnelt in der Größe dem ehemaligen Reisepass der Bundesrepublik. Urlauber bekommen den Pass jeweils in den Rathäusern oder Tourismusbüros ausgehändigt und abgestempelt. Sie müssen allerdings mindestens eine Übernachtung im jeweiligen Zipfelort nachweisen. Sonst könnte ja jeder kommen. Kein Verwaltungsakt per Stempel ohne Gegenleistung.

Die vier Orte müssen Pass­inhaber innerhalb von fünf Jahren bereisen. Bisher waren es vier Jahre, wegen der Corona-Pandemie aber wurde der Zeitraum um ein Jahr verlängert. Wer im Zipfelpass alle vier Stempel vorweisen kann, erhält als Dank ein kleines Geschenk. In Oberstdorf etwa ist das ein Gipfelbuch. Pardon, es ist natürlich ein Zipfelbuch.

Einige Tausend Reisende haben sich in der Vergangenheit zu den vier Zipfeln aufgemacht – mit dem Auto, per Bahn und Bus, auf dem Fahrrad oder Motorrad, zu Fuß und auf dem Pferderücken. Im Rathaus von Selfkant werden Jahr für Jahr um die 100 Zipfelpässe abgestempelt. Genaue Zahlen werden dort auf Nachfrage nicht genannt, wie auch in den anderen Zipfelorten. Doch die Zahl der Zipfeltouristen steige von Jahr zu Jahr, heißt es in Selfkant. Im Corona-Jahr 2020 mit dem Boom des Inlandstourismus verzeichnete man zuletzt noch mehr Zulauf. Das sind die vier Zipfelorte:

List auf Sylt Ein kleines Holzschild an der Dünenkante markiert den nördlichsten Punkt Deutschlands. Der liegt in List auf Sylt, am Strand des Naturschutzgebietes Ellenbogen. Die Autozufahrt von der Straße zwischen Kampen und List zweigt schon in Westerheide ab und wird zur mautpflichtigen Privatstraße. Hinter dem Leuchtturm List West wartet der Parkplatz. Von dort sind es nur ein paar hundert Meter zum Ziel: Deutschlands Spitze, mit Aussicht über die Nordsee nach Dänemark.

 Der Leuchtturm List-West liegt am Ellenbogen auf Sylt. Dort ist man Deutschlands nördlichstem Zipfel schon sehr nah.

Der Leuchtturm List-West liegt am Ellenbogen auf Sylt. Dort ist man Deutschlands nördlichstem Zipfel schon sehr nah.

Foto: dpa-tmn/Carsten Rehder

Die Zipfelpässe werden in der Lister Kurverwaltung abgestempelt. „Es gibt Gäste, die kommen mal kurz vom Festland mit dem Zug rüber und wollen den Stempel im Zipfelpass haben“, erzählt Wolfgang Nicoley von der Kurverwaltung. Doch das lehnen sie in List kategorisch ab – eine Nacht vor Ort ist für Zipfelpass-Jäger Pflicht.

Görlitz An der deutsch-polnischen Grenze wird ein wenig gemogelt. Zwar ist die rund 56.000 Einwohner zählende Europastadt Görlitz (auf polnisch: Zgorzelec) Deutschlands östlichste Zipfelstadt – doch die östlichste Stelle der Republik liegt rund zehn Kilometer weiter nördlich von dort. Sie befindet sich nämlich in der rund 1700 Bewohner zählenden Gemeinde Neißeaue zwischen den Ortsteilen Deschka und Zentendorf. Ein Findling weist dort auf die Stelle in der Flussmitte der Neiße hin, die von Zentendorf aus über kurvige Feldwege erreicht werden kann.

 Einen Blick über den Grenzfluss Neiße auf die Pfarrkirche St. Peter und Paul werfen Reisende in Görlitz, der östlichsten Zipfelstadt.

Einen Blick über den Grenzfluss Neiße auf die Pfarrkirche St. Peter und Paul werfen Reisende in Görlitz, der östlichsten Zipfelstadt.

Foto: dpa-tmn/Sebastian Kahnert

Oberstdorf Hier im Allgäu gibt es den Stempel im Ort, doch wer den absolut südlichsten Punkt sucht, muss fit sein und trittsicher. „Kein Sonntagsspaziergang“ sei es dorthin, sagt Miriam Frietsch vom Tourismusbüro, sondern „eine Tagestour von acht bis zehn Stunden“.

Mit dem Fahrrad – am besten einem E-Bike – und zu Fuß kommen die Zipfelstürmer vom Parkplatz Fellhornbahn über den Weiler Einödsbach zur Speicherhütte. Zu Fuß geht es dann weiter. Als anstrengend und matschig wird der Weg von Wanderern zur Trifthütte beschrieben. Nichts ist am Haldenwanger Eck ausgeschildert, die letzten Meter werden zur Kraxelei. Finale am felsigen Hang: Der Grenzstein 147 befindet sich in 1931 Metern Höhe. Mehr Süden geht nicht mehr, dort am Dreiländereck Bayern, Tirol und Vorarlberg.

Selfkant Mit den Füßen noch in Deutschland, mit dem Rücken schon in den Niederlanden: So geht das auf der Ruhebank, die am westlichsten Punkt Deutschlands in Selfkant-Isenbruch steht. Ein Steg am Rodebach leitet Besucher zum Zipfelpunkt, markiert durch einen knallroten Stab inmitten des Gewässers. Erlebnisraum Westzipfel, so nennen sie das hübsche Touristenziel an der Kreisstraße 1.

Eine halbe Million Euro hat Selfkant im Jahr 2015 mit Hilfe des Landes Nordrhein-Westfalen investiert, in Bänke, Steg und Stab, Toilette, Parkplätze – und wurde damit zu einem Fall für den Steuerzahlerbund. Das sei rausgeschmissenes Geld, wetterte der. Doch längst ist wieder Ruhe eingekehrt.

 Dieser Steg in Selfkant-Isenbruch im Kreis Heinsberg führt zum westlichsten Punkt des Landes – markiert durch einen roten Stab.

Dieser Steg in Selfkant-Isenbruch im Kreis Heinsberg führt zum westlichsten Punkt des Landes – markiert durch einen roten Stab.

Foto: dpa-tmn/Bernd F. Meier

Viele Besucher übernachten in einem der 75 Gästebetten. Manche verbringen einige Tage im Zipfelort. Bei einer Radtour in der Region ent­decken sie das schmalste Stück der Niederlande, es ist nur 4,8 Kilometer breit. Radelt man schnurstracks nach Westen, ist man rasch sogar in einem dritten Land der EU: in der belgischen Gemeinde Dilsen-Stokkem an der Maas.

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