Italien Eine Café-Legende

Das „Caffè Florian“ ist elegantes Kaffeehaus und lebendiges Museum in bester Lage am Markusplatz in Venedig. Jetzt wird es 300 Jahre alt

 Wie in einer anderen Zeit: Am 29. Dezember 1720 eröffnete Floriano Francesconi einst das Café in Venedig.

Wie in einer anderen Zeit: Am 29. Dezember 1720 eröffnete Floriano Francesconi einst das Café in Venedig.

Foto: Sascha Rettig

Für einen guten Espresso muss immer Zeit sein. Vor allem in Italien. Selbst wenn man gerade auf der Flucht aus dem Gefängnis ist. Denn glaubt man der Erzählung, war der berühmte Frauenheld Casanova einst aus seiner Zelle im Dogen-Palast getürmt, legte aber selbst in dieser hektischen, brenzligen Situation noch einen Zwischenstopp ein: auf einen Kaffee auf dem Markusplatz im nahe gelegenen „Caffè Florian“. Dies ist nur eine der zahlreichen Legenden und Anek-
doten aus den vergangenen Jahrhunderten, die sich um das womöglich älteste noch geöffnete Café der Welt ranken.

Auf den rotsamtenen Divanen saßen eben schon viele illustre Persönlichkeiten. Jean-Jacques Rousseau gehörte ebenso dazu wie Goethe oder Lord Byron. Ernest Hemingway trank hier am liebsten Rotwein. Gina Lollobrigida stattete gern mal während der Filmfestspiele auf dem Lido einen Besuch ab. Aber auch heutzutage kann es durchaus passieren, dass Prominenz am Nachbartisch sitzt – wie Salma Hayek, die vor zwei Jahren dort ihren Geburtstag feierte. Längst ist das Kaffeehaus in bester venezianischer Lage schließlich selbst zur Legende geworden. Eine uralte Institution, die in diesem Jahr ihren 300. Geburtstag feiert. Ein Museum im täglichen Café-Betrieb, das mit Stefano Stipitivich sogar einen eigenen künstlerischen Direktor hat.

 Zahlreiche Kunstwerke und Deckengemälde zieren die historischen Räume.

Zahlreiche Kunstwerke und Deckengemälde zieren die historischen Räume.

Foto: Sascha Rettig

Am 29. Dezember 1720 eröffnete Floriano Francesconi einst das Café in den „Procuratie Nuove“-Arkaden, damals noch unter dem Namen „Alla Venezia Trionfante“, deutsch „triumphierendes Venedig“. Kaffee war zu der Zeit groß in Mode in der Stadt, nachdem ein Venezianer 1638 Kaffee aus Ägypten in die Lagunenstadt gebracht hatte. Das erste Kaffeehaus eröffnete bereits 1683. „Das war so populär, jeder wollte Kaffee trinken“, sagt Stipitivich. „Anders als Wein machte Kaffee schließlich wach und die Intellektuellen tranken ihn, um sich zu konzentrieren.“ Die Zahl der Cafés sei damals auf etwa 200 in der gesamten Stadt begrenzt worden.

Etwas wirklich Außergewöhnliches war so ein neues Kaffeehaus selbst vor 300 Jahren damit eigentlich nicht. Doch der Besitzer des „Alla Venezia Trionfante“ soll eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein – und das zog zahlreiche Künstler, Adlige und die Intellektuellen der Lagunenstadt an. Irgendwann war das Café, in dem heutzutage vor allem Touristen aus der ganzen Welt dem Café-Mythos nachspüren, einfach unter dem Namen „Florian“ bekannt.

 An der Farbe der Fliege erkennt man, wie erfahren der Kellner ist.

An der Farbe der Fliege erkennt man, wie erfahren der Kellner ist.

Foto: Sascha Rettig

Kaffee war damals etwas, das sich vor allem die Betuchteren leisten konnten. „Ein türkischer Kaffee mit Zucker hat etwa doppelt so viel gekostet wie ein Wein“, fügt Stipitivich hinzu. Auch wer heute ins „Caffè Florian“ geht, muss erwartungsgemäß deutlich tiefer ins Portemonnaie greifen, als es normalerweise der Fall ist – was mitunter für Kritik sorgt. Für einen einfachen Cappuccino, den Bestseller, muss man 10,50 Euro bezahlen. Die Cioccolata Casanova, eine heiße Schokolade mit Mintcreme und Schokoraspeln, kostet 13,50 Euro. Serviert werden die Spezialitäten aber in feinem Porzellan und auf einem Silbertablett – angemessen elegant also wie auch die 20 Kellner, allesamt Männer. Die dürfen keine Tattoos, Piercings oder Ohrringe haben, tragen dafür aber alle Smokingjacke, weißes Hemd und eine Fliege, die bei der einen Hälfte schwarz, bei der anderen Hälfte weiß ist. „An der schwarzen Fliege erkennt man die verdienten, erfahrenen Kellner, an der weißen den jüngeren Nachwuchs“, erklärt Roberto Ferronato, der selbst stolzer Träger der schwarzen Fliege ist und seit 34 Jahren im „Florian“ arbeitet. Bei ihm kann man auf Italienisch, Englisch und Französisch bestellen. Auch Deutsch versteht der Venezianer.

Neben dem Service ist im „Florian“, das seit einigen Jahren unter anderem dem Modedesignhaus Fendi gehört, vor allem aber die Atmosphäre eine besondere. Draußen an einem der 97 Tische hat man einen Logenplatz, um bei einem venezianischen Kaffee oder einem Bellini das lebendige Treiben auf dem Markusplatz zu beobachten: In historischer Umgebung mit Markusdom und dem Campanile im Hintergrund sieht man, wie Touristen vorbeiziehen. Manche füttern Tauben, obwohl es eigentlich nicht mehr erlaubt ist. Manche kaufen eine Rose oder ein Leuchtspielzeug bei einem der fliegenden Händler. Gelegentlich wagt ein Paar ein Tänzchen. Nicht nur beim „Florian“ gibt es schließlich täglich Live-Musik bis Mitternacht, meist von einem Quartett. Auch in den Kaffeehäusern auf der anderen Seite des Platzes werden im Wechsel Evergreens und Klassiker gespielt – von „My Heart Will Go On“ bis „Time To Say Goodbye“.

Wer es vorzieht, beim Besuch im „Florian“ an einem der Marmortische in einem der opulenten Innenräume zu sitzen, hat das Gefühl, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. „Im 19. Jahrhundert wurde es zu Teilen umgebaut, seitdem ist es im Grunde unverändert“, erklärt Stipitivich. Allerdings wurde das Café zwischenzeitlich erweitert. „Als Letztes kam 1920 der sogenannte „Freiheitsraum“ dazu.“ Sechs Räume gibt es seitdem insgesamt. „Das alles instand zu halten, ist eine Herausforderung. Wir renovieren die ganze Zeit. Nicht zuletzt auch wegen des Hochwassers jedes Jahr“, sagt der künstlerische Leiter.

Der „Sala del Senato“, der „Senatsraum“, ist einer der bedeutendsten Räume des Cafés – nicht nur aufgrund der Malereien an den Wänden und den Decken, die wie überall mit Glasschutz versehen sind. „Das Zeitalter der Erleuchtung oder des Fortschritts“ und „Zivilisation, die die Nationen erzieht“ und dazu elf Tafeln mit Malereien sind dort zu sehen.

 Ein Bild aus besseren Tagen: Zu Beginn der Corona-Pandemie war das Café erstmals fast drei Monate zu; auch derzeit ist es wieder geschlossen.

Ein Bild aus besseren Tagen: Zu Beginn der Corona-Pandemie war das Café erstmals fast drei Monate zu; auch derzeit ist es wieder geschlossen.

Foto: Sascha Rettig

Hier wurde zudem eine der wichtigsten Veranstaltungen Venedigs geboren: die Biennale di Venezia, das Kunstfestival, das im Wechsel mit der Architektur-Biennale alle zwei Jahre stattfindet und zu den renommiertesten der Welt zählt. Zur Kunst-Biennale werden internationale Künstler eingeladen, einen der Caféräume zu gestalten. Dann gibt es Ausstellungen, Installationen oder Videoprojektionen – natürlich ohne etwas an den historischen Räumen zu verändern.

Auch wenn es auf der Welt, in Italien, in Venedig im Laufe der vergangenen drei Jahrhunderte Krisen und Erschütterungen gab, war das „Florian“ immer geöffnet, das ganze Jahr über. Sogar an Weihnachten. Sogar während des Ersten Weltkrieges, als Kriegsverletzte hier untergebracht waren. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr hat es aber das „Florian“ erwischt. Zu Beginn der Corona-Pandemie war es erstmals fast drei Monate zu; auch derzeit ist es geschlossen. Als es im Juni zwischenzeitlich wiedereröffnete, hatte der globale Ausnahmezustand das Leben und Reisen der Menschen weltweit verändert – die reiche Geschichte des Kaffeehauses wird aber nach wie vor fortgeschrieben.

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