Inszenierung im Schauspielhaus Frischer Wind auf dem Zauberberg

Düsseldorf · Thomas Manns berühmter Roman gibt auch für die Bühne etwas her. Ein junges Ensemble erbrachte den Beweis im Düsseldorfer Schauspielhaus.

 Blanka Winkler (links) als Hans Castorp und Valentin Stückl als Madame Chauchat in der Inszenierung von Thomas Manns „Zauberberg“.

Blanka Winkler (links) als Hans Castorp und Valentin Stückl als Madame Chauchat in der Inszenierung von Thomas Manns „Zauberberg“.

Foto: Thomas Rabsch

Vor hohen, von hinten beleuchteten Milchglasscheiben stehen sieben Personen mit dem Rücken zum Publikum. Darüber flimmert Thomas Mann schwarz-weiß als Redner über Großbildschirme. Eine achte Person tritt an den Bühnenrand: Blanka Winkler als Hans Castorp, Hauptgestalt in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg" – nicht der Einzige, der in dieser Inszenierung des Düsseldorfer Schauspielhauses vom anderen Geschlecht verkörpert wird.

Überhaupt tanzt der Abend aus der Reihe. Auf der Bühne stehen Menschen, die in dieser Inszenierung von Wolfgang Michalek samt einer Choreografie von Bridget Petzold ihre Ausbildung abschließen, also fast durchweg jünger sind, als Thomas Mann sie für seinen Roman entwarf. Zwei Jahre lang sammelten die Studierenden der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy" in Leipzig  Berufserfahrung im Studio des Düsseldorfer Hauses. Jetzt können sie auftreten. Und wie sie tanzen - wunderbar!

„Der Zauberberg" ist der viel zitierte Roman über die abgeschlossene Welt eines Davoser Lungensanatoriums, in dem die Alten sich im verblassenden Ruhm ihrer einstigen Berufstätigkeiten sonnen und sich bemühen, die zäh fließende Zeit möglichst unterhaltsam und geistvoll zu füllen. In diese Welt dringt, schon mit seinen Skiern hadernd, jener Hans Castorp ein, der bloß seinen Vetter Joachim besuchen will und dann doch sieben Jahre bleibt. Als er die seltsame Stätte verlässt, bricht der Erste Weltkrieg aus.

Viel Zeit also, um sich den Bräuchen in der hohen Luft anzupassen. Schon die erste Tanzeinlage ist eine Wucht: temporeiche Bewegung, deren Wildheit System hat. Schon jetzt erweist sich Nils David Bannert in der Rolle des  lebensgenusssüchtigen Pieter Peeperkorn als Glanzpunkt der Inszenierung. Wie er mit schlangenartigen Bewegungen einen etwas schmierigen, auf dem Zauberberg des Todes zugleich vor Lebensfreude sprühenden Typus auf die Bühne stellt, das zu verfolgen ist bereits ein Vergnügen für sich.

Typen sind auch die anderen: zum Beispiel Stella Maria Köb als Frau Stöhr, die bei der Benutzung von Fremdwörtern stets knapp daneben liegt und damit beim Premierenpublikum sichere Lacher erzielt. Oder Gesa Schermuly als Lodovico Settembrini, der sich als Humanist und Aufklärungsoptimist in Szene zu setzen weiß. Oder Moritz Klaus als Leo Naphta, der einen aus Askese, Terror und Kommunismus zusammengerührten Todesfanatismus verkörpert. Schließlich Valentin Stückl als Madame Chauchat, eine Exotin, in die Hans Castorp sich verlieben wird.

Aus Thomas Manns Typisierung treten diese Figuren immer wieder heraus. In unterschiedlichen Zusammenstellungen bilden sie auf halber Bühnenhöhe eine Reihe aus Zigarrenrauchern, räkeln sich im Erdgeschoss auf weißen Liegestühlen und reden dabei vieles, wenn der Tag lang ist. „So eine Kur hat doch auch eine gewisse Vergnüglichkeit", das mag ja noch auf einer der rund 1000 Seiten des Romans zu finden sein. Der Aufruf zur Mülltrennung dagegen, zur Benutzung des Busses statt eines Autos und zur Rettung der Wale stammt dann doch aus jüngerer Zeit.

In der zweiten Hälfte des pausenlosen zweistündigen Abends gewinnt die Aufführung an Ernst. In flackerndem Licht bekommt Hans Castorp einen Wutanfall, schaut von der Höhe des Zauberbergs auf die Welt hinab und erinnert sich selig an einen jungen Kirgisen aus seiner Jugend: „Er war so schön." Im Totentanz mit der schöne Russin Madame Chauchat klingt diese Erinnerung nach. Mit ausgestreckten Armen liegen sie schließlich auf dem Boden. Zuvor schon hatten sich auf den Milchglasscheiben bedrohliche Röntgenbilder von Lungen gezeigt.

Jetzt schlägt die Stunde der Dänin Ellen Brand, dargestellt von Caroline Cousin. „Wir scheinen an einem toten Punkt angekommen zu sein", wabert es aus ihr. Die ganze Welt sei dort angekommen. Als habe ein Dämon die Macht ergriffen, ein Dämon, dessen Name Stumpfsinn sei: „Mir ist, als werde das Ende eine Katastrophe sein." Das Geschehen wendet sich nun ins Surreale. Während Frau Stöhr wunderbar schief Operettenmelodien zum Besten gibt und Herr Peeperkorn aus einem hoch über ihm stehenden Topf die Blätter einer scheinbar endlosen Grünpflanze zupft, sieht der Philosoph Settembrini eine neue Zeit anbrechen. Es ist die Zeit von Covid 19, eine Zeit, in der die soziale Distanz eine neue Nähe erschaffen habe, in der Büchereien „plötzlich zum Kult wurden" und die Frage nach dem Sinn des Lebens wieder in den Mittelpunkt rückte: „Die Welt kann sich neu erfinden."

Auch Hans Castorp entlässt das Publikum mit guten Gedanken. „Ich will dem Tod keine Herrschaft einräumen über meine Gedanken", sagt er, und: „Das ist mein Traum, damit wache ich auf." Dann wird die Bühne aufgeräumt. Es folgt ein letzter, verhaltener Tanz.

Das Premierenpublikum feierte den eigenwillig akzentuierenden Umgang des Regisseurs und seiner Choreografin mit Thomas Manns vielschichtiger Vorlage enthusiastisch. Die Schauspielschülerinnen und -schüler haben allesamt bestanden.

 Die nächste Aufführungen finden am 27.3., 10.4., 16.4. und 1.5 jeweils im Kleinen  Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses statt. Kartenbestellung: Tel. 0211 369911 oder über karten@dhaus.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort