Berlin Iran-Drama gewinnt Berlinale

Berlin · Die Berlinale berauschte sich in diesem Jahr an der eigenen Welthaltigkeit, und die Freude darüber, dass der Festivalplan synchron zur Wirklichkeit verlief, spürt man auch den Preisen an. Die drei wichtigsten Auszeichnungen gingen an die iranische Produktion "Nader and Simin" des Regisseurs Asghar Farhadi aus Teheran: der Goldene Bär für den besten Film und die Silbernen Bären für jeweils das weibliche und männliche Ensemble. Die Entscheidung der von Isabella Rossellini geführten Jury ist symbolisch, weil dieses Filmfest grün gefärbt war, in der Farbe der iranischen Revolution.

Sie ist aber auch richtig und verdient, denn das Drama aus dem Alltag von Menschen zwischen staatlich verordneter Tradition und individuellem Aufbruch ist ein Meisterwerk. Im Gegensatz zu vielen Siegern früherer Jahre gilt als sicher, dass "Nader and Simin" bei uns ins Kino kommt.

Die Berlinale 2011 fand in dem Moment statt, da sich die Bahnen von Politik und Kunst kreuzten. Ein Glücksfall für das Filmfest, das sich vornimmt, die ästhetische Einmischung zu fördern. So wird dieser Jahrgang als besonders politischer in die Geschichte eingehen. Dass die Königsdisziplin — nämlich der Wettbewerb — der Renovierung bedarf, wird also erst im kommenden Jahr zum Thema.

Denn auch das war die Berlinale 2011: eine Veranstaltung ohne die großen Namen des Weltkinos. Keiner der Regisseure, auf deren Arbeiten Filmfreunde in aller Welt warten, beteiligte sich am Wettbewerb. David Cronenberg, Aki Kaurismäki und Lars von Trier stellen ihre neuen Filme lieber im Mai in Cannes vor. Vielleicht bieten sie sie der Berlinale einfach nicht mehr an, vielleicht bemüht sich das Team von Direktor Dieter Kosslick auch nicht stark genug um sie. Das Ergebnis ist dasselbe: eine mäßige Konkurrenz. Nur 16 Filme stritten um den Goldenen Bären — Rekordminimum.

Zu Beginn dieser Berlinale war die Freude groß, als "True Grit", der Western der Coen-Brüder, außer Konkurrenz gezeigt wurde. Aber dieser Film feierte am Potsdamer Platz nur seine Deutschland-Premiere, in den USA läuft er längst. Er war reiner Schmuck, schöner Schein.

Ein Ereignis für den europäischen Autorenfilm ist das ultraradikale Kunstwerk "The Turin Horse" des Ungarn Béla Tarr. Tarr verkündete, dies sei sein letztes Werk, er habe mit dieser negativen Schöpfungsgeschichte alles gesagt. Die Weltuntergangs-Vision in Schwarzweiß erhielt den Großen Preis der Jury. Ein Alibi-Preis. Wenn den Verantwortlichen an künstlerischer Individualität abseits des Gängigen gelegen ist, wie sie bekunden, warum dann nicht den Preis für die beste Regie an diesen Filmemacher vergeben?

Nun kann sich der Berliner Ulrich Köhler damit schmücken. Sein Film "Schlafkrankheit" ist die vertrackte, mit dem Willen zu mystischer Rätselhaftigkeit in Szene gesetzte Geschichte eines deutschen Arztes in Afrika. Köhler gehört wie Christian Petzold, Christian Hochhäusler und Angela Schanelec der "Berliner Schule" an, einer Bewegung, die auf wenige Dialoge setzt, lange Einstellungen, Langsamkeit. So wie "Schlafkrankheit" — wenn auch in den meisten Fällen nicht vergleichbar souverän komponiert — sah das Gros der Wettbewerbsfilme aus. Ein Schema, das längst beliebig wirkt.

In diesem Jahr schaute man im Berlinale-Palast zu, wie die Welt sich dreht. 2012 sieht man genauer auf den Wettbewerb. Die Berlinale sollte dringend seine Anziehungskraft und sein Niveau erhöhen.

(RP/csr)
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