Großartige Geigerin Eldbjørg Hemsing Der Klang der Stille

Oslo · Anne-Sophie Mutters Erbin: Eldbjørg Hemsing aus Norwegen gilt als herausragendes Musikertalent. Auf ihrer neuen CD spielt sie die Sonaten ihres berühmten Landsmanns Edvard Grieg.

 Daheim auf Norwegens Höhen: Eldbjørg Hemsing.

Daheim auf Norwegens Höhen: Eldbjørg Hemsing.

Foto: Nikolaj Lund

Die Welt schaut seit einigen Jahren gern nach Norwegen, weil das eher unscheinbar an die Westkünste Skandinaviens geflanschte, tief zerfurchte Land der Welt einen neuen König geschenkt hat. Es ist der Schachspieler Magnus Carlsen. Der gilt als Brüterich und unter Fans der Sportart als Boa, als Würgeschlange. Wer ihm gegenüber sitzt, erlebt bei mangelhafter Gegenwehr seine langsame Erdrosselung.

Eldbjørg Hemsing ist Norwegens neue Königin, ihr sieht man gern zu, sie hat nichts Kriegerisches, sie ist eine aparte junge Frau mit langen blonden Haaren, sie könnte in Oslo die Rechtsabteilung des Umweltministeriums leiten oder einen Bootsverleih in Trondheim. Doch sie ist Musikerin, sie spielt Geige, und weil das halt nicht so ganz ungewöhnlich ist, hat sie irgendein Troll aus der Marketing-Abteilung ihrer Plattenfirma BIS fürs Cover ihrer neuen CD in eine steinige norwegische Flechtenlandschaft gestellt. Zuvor hat er ihr einen Feen-Overall verpasst und ihr die Geige in die Hand gedrückt. Auf wen soll sie da warten? Auf Peer Gynt etwa, den Hallodri der nordischen Mythologie? Eher wartet sie auf Edvard Grieg, der irgendwie von den Toten aufersteht, Hemsing ernst in die Augen schaut und ergriffen sagt: „Von dir, mein Kind, habe ich mein ganzes Leben lang geträumt!“

Vermutlich ist sie Anne-Sophie Mutters ideale Erbin. Ihr Geigenspiel ist brennend ausdrucksvoll, wie eine Reizstrombehandlung, wie eine Nervenstimulation, nicht schmerzhaft, aber intensiv. Dieser Intensität gibt man sich umso lieber hin, als es sich bei der neuen CD um die drei Violinsonaten von Grieg handelt, hochromantische, virtuos ausladende, etwas versponnene Musik. Über die zweite Sonate geht die Legende, dass nach ihrer Premiere Griegs Kompositionslehrer, der Däne Niels Wilhelm Gade, tadelnd gesagt haben soll: „Nein, Grieg, die nächste Sonate müssen sie nicht so norwegisch machen!“ Darauf soll Grieg geantwortet haben: „Im Gegenteil, Herr Professor, die nächste wird noch schlimmer.“ Sie wurde aber kein Elfentanz, kein Gnomenreigen, sondern ein durch und durch europäisches Meisterwerk.

Das hört man aus Hemsings Interpretation herrlich heraus. Sie zeigt uns Grieg als weltgewandten Meister, der mit formalen Einfällen nicht geizt, gern durchs Unterholz der Harmonik streift, aber vor allem ein rassiger Melodiker ist. Hemsing spielt das wie mit glühenden Fäden, die den Himmel über der Musik zart erleuchten. Da muss Strom im Spiel sein! Gleichwohl zeigt sie nur selten ihre Muskeln, ihr Vibrato ist eher diskret; sie zersägt die Saiten nicht, sie vertraut darauf, dass der Ton ihrer Guadagnini-Geige auch ohne großen Bogendruck die Luft in Schwingung versetzt und nur im äußersten Fall durchschneidet. Es ist wie der Klang der Stille.

Das Auffallende ihres Spiels ist jedes Fehlen von Kalkül. Keine Sekunde verbreitet sie das Phänomen von Geiger-Raffinesse, von retortenhafter Emotion. Im Moment des Spielens scheint sie den allerersten Zugriff aufs Stück zu wagen, immer steckt ein Funke Risiko in ihrem Musizieren, eine latente Gefährdung. Doch an Absturz kein Gedanke, denn Hemsing besitzt ein gesundes Urvertrauen. Diesmal gilt es dem fabelhaften Pianisten Simon Trpceski, der kein Norweger, sondern ein Mazedonier ist. Aber er fühlt sich in der kühlen Luft den Nordens wohl. Er kennt den Weg. Beide atmen die geistige Freiheit, die ein gutes Duo immer auch besitzt: Einer kann sich auf den anderen in jeder Sekunde hundertprozentig verlassen.

Die Grieg-Platte ist ein neuerliches Dokument, das Eldbjørg Hemsing, 1990 im norwegischen Aurdal geboren, als Geigerin der Zukunft zeigt. Sie ist keine Spur kontaktscheu, sie hat das Violinkonzert des chinesischen Komponisten Tan Dun erstmals für die Platte eingespielt. Sie hat das wunderbar schmachtende Violinkonzert ihres Landsmanns Hjalmar Borgstrøm von jeder Schwerblütigkeit befreit und nebenbei das Schostakowitsch-Konzert als erfrischende Konzeptkunst umgedeutet (als Platte ebenfalls bei BIS).

Die Natürlichkeit ihres Spiels hat zweifellos mit ihrer Herkunft zu tun. Sie stammt aus einem winzigen Dorf nördlich von Oslo, fast abgeschieden von der Welt. Bereits mit zwei Jahren hatte sie erstmals eine Geige in der Hand, mit sechs gab sie ihr erstes öffentliches Konzert, mit elf verpflichtete sie das Symphonieorchester in Bergen für einen Soloauftritt. Fürs Studium ging sie nach Wien. Jetzt steht ihr die Welt offen. Doch ohne Norwegen geht es nicht. Ein hübsches Promo-Video zeigt sie als flinke Langläuferin auf Skiern, die in dichtem Schneetreiben mal eben Besorgungen macht.

Demnächst, in besseren Zeiten, besuchen wir dann auch mal ihr kleines feines Kammermusikfestival in Aurdal. Dort knarren die Stühle, wenn die Zuhörer zu unruhig sind. Passiert aber nicht, weil Eldbjørg Hemsing, die neue Königin der Geige, wirklich jeden in ihren Bann zieht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort