Ausstellung „Kino der Moderne“ Bewegtes Bild der Weimarer Republik

Bonn · Die Ausstellung „Kino der Moderne“ in der Bundeskunsthalle in Bonn setzt den deutschen Film der 1920er Jahre gekonnt in Szene.

Zeitgenössische Collage, vermutlich von Umbo zu dem Filmklassiker „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ (Walther Ruttmann, 1927).

Zeitgenössische Collage, vermutlich von Umbo zu dem Filmklassiker „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ (Walther Ruttmann, 1927).

Foto: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv/ Bundeskunsthalle/Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv

Eine Bettlerin im groben Mantel, ein Arbeiter, Hände in den Taschen, ein Industrieller mit strengem Blick – als typische Vertreter ihrer Zeit hat der Fotograf August Sander Menschen der Weimarer Republik porträtiert. Unter den berühmten Fotografien hängen Szenenbilder aus Filmen der 1920er Jahre – und dieselben Typen schauen den Betrachter an. Der Film war Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur ein neues Medium der Kunst, eine Spielwiese mit bewegten Möglichkeiten – Filme waren von Anfang an Spiegel ihrer Zeit. Alles, was die Epoche nach dem Ersten Weltkrieg ausgemacht hat, taucht darin auf: vom Elend der Arbeiter, düstere Mietkasernen, neue Verkehrsmittel über die Begeisterung für allerlei Körperertüchtigungen bis zum Glanz des Nachtlebens in Babylon Berlin.

Die überbordende Ausstellung „Kino der Moderne“ in der Bundeskunsthalle in Bonn erkundet beide Seiten des Films, stellt ihn als Kunstform aus und nutzt ihn als historisches Dokument. Das Museum hat Kuratoren der Deutschen Kinemathek in Berlin eingeladen, ein gewaltiges Panorama an Szenenbildern, Filmausschnitten, Plakaten, Bühnenentwürfen, Fotos zusammenzutragen. In drei Kinos, die in die Ausstellungsräume hineingebaut sind, geht es um Ästhetisches wie das „neue Sehen“ oder um Gesellschaftliches wie Geschlechterrollen. Selbst Filmtheorie wird erlebbar: Zu Ausschnitten aus Meisterwerken wie Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ sind Texte zeitgenössischer Kritiker zu hören. Beeindruckend, mit welchem analytischen Gespür Theoretiker wie Siegfried Kracauer schon früh Kriterien für das Nachdenken über Film entwickelten.

Auch zu Malerei, Grafik, Mode, Musik, Literatur und Wissenschaft der Weimarer Jahre stellt die Ausstellung zahlreiche Bezüge her. Das geschieht meist über Bilder und Zeichnungen, es sind aber auch historische Exponate zu bestaunen. Etwa ein weißes Mercedes-Rennauto aus dem Jahr 1929, das direkt aus einem expressionistischen Szenenentwurf gebraust zu sein scheint, oder ein roter Badeanzug von Marlene Dietrich, der zwar aus Wolle gestrickt, aber mit Seide gefüttert ist.

Doch ist die Ausstellung kein Sammelsurium historischer Relikte. Vielmehr führt sie den Besucher stringent durch Themen, die die Weimarer Jahre geprägt haben, und damit auch im Film sichtbar sind. Das reicht von der Faszination für den schnellen Lebenstakt der Metropole in Filmen wie „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) über Alltagsvergnügen wie den Ausflug zum See in „Menschen am Sonntag“ (1930) bis zur Lage der Arbeiter in agitatorischen Werken wie „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“ (1932). Der Einfluss bildender Künstler wie George Grosz oder Fernand Léger wird nachgezeichnet, die Experimente von Avantgardisten wie Laszlo Moholy-Nagy, Robert Wiene und Walther Ruttmann gewürdigt. Dass schon in den frühen 1920er nicht nur der spielerische Geschlechtertausch mit so genannten „Hosenrollen“, sondern auch das Thema Diskriminierung von Homosexualität im Film behandelt wurde, gehört zu einer der Überraschungen der Ausstellung.

Ein kleines Manko ist, dass in den Themenräumen Filmausschnitte in festgelegten Schleifen zu sehen sind. Der Besucher kann die Filme nicht einzeln ansteuern oder selbst bestimmen, wie viel er davon sehen will. Dafür sind die Ausschnitte genau auf das jeweilige Thema hin ausgewählt. Man verzettelt sich also nicht in der Fülle an Filmbeispielen.

Auch das eigentliche Filmhandwerk ist im „Kino der Moderne“ zu bestaunen. Studioaufbauten mit original Kameras, eisernen Schienenkonstruktionen, klobigen Scheinwerfern zeigen das schwere Gerät des neuen Massenmediums. 1928 gab es über 5000 Lichtspielhäuser in Deutschland, die von jährlich 353 Millionen Menschen besucht wurden. Dass Deutschland in der Weimarer Zeit ein Pionierland des Films war, das technisch mit Hollywood mithalten konnte, zeigen auch Besonderheiten wie die auf hölzerne Skier montierte Kamera, mit der bereits rasante Abfahrten gefilmt werden konnten.

Die Ausstellung feiert also die Goldenen Jahre des deutschen Films und seine neugierigen, experimentierfreudigen, technikbegeisterten Macher. Dass die Epoche tief durchdrungen war von den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, kommt etwas zu kurz. Zwar wird etwa die Geschichte der Zensur des Antikriegsfilms „Im Westen nichts Neues“ beleuchtet, doch wäre das Thema Gewalt in dieser zerrissenen Epoche sicher ein eigenes Themenfeld wert gewesen.

Action am Ausgang der Ausstellung: Schüsse fallen, zwei Polizisten fliehen in einen Hauseingang, Weimarer Straßenszenen in Farbe. Ein kleiner Raum beschäftigt sich mit der aktuellen Faszination für die Weimarer Republik – am Beispiel der populären Fernsehserie „Babylon Berlin“. In Interviews mit den Machern wird deutlich, wie viel Aufwand in solchen Produktionen steckt, damit man ihnen genau das nicht ansieht.

Allerdings hat man zu dem Zeitpunkt schon so viele Beispiele für die Ausdruckskraft der Filmpioniere gesehen, dass die Wiederbelebung der Epoche in den Kulissen der Gegenwart doch recht brav erscheint.

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