Köln Schauspiel Köln: Richard Siegal zerlegt die Sprache

Köln · Der amerikanische Choreograf zeigt in Köln ein Stück, das er selbst geschrieben hat.

 Courtney Henry in „Roughhouse“.

Courtney Henry in „Roughhouse“.

Foto: Thomas Schermer

Was, wenn der Sprache überhaupt nicht mehr zu trauen wäre? Weil Menschen heucheln und lügen, weil sie ihr Sprechen nutzen, um vorzutäuschen, was sie nicht sind, und auszugrenzen, wen sie bedrohlich finden. Der amerikanische Choreograf Richard Siegal hat sich für sein neues Stück „Roughhouse“, das jetzt am Schauspiel Köln seine Uraufführung erlebte, an die Sprache gewagt. Der Choreograf hat ein Stück geschrieben, das Sprechhaltung imitiert, persifliert, verwirft, das in einem Moment politisch korrekt Respekt fordert und im nächsten die Freiheit, in jede Tabuzone vorzudringen, jedes Reizwort auszusprechen. Aus einem Wust an Zitaten, Sprachcodes, Jargon hat Siegal eine Textfläche gesampelt, in der sich die Gegenwart in all ihrer Zerrissenheit durch ihre Sprache selbst verrät. Von Schlagwörtern wie „me too“, Opfer-Betroffenheits-Antidiskriminierungs-Sprechposen bis zu Spielarten der Hassrede reicht sein Repertoire. Entstanden ist ein Roughhouse – ein wildes Spiel, bei dem Menschen bis an die Schmerzgrenze gehen.

Doch der Choreograf Siegal gewinnt aus dem eigenen Text die Bewegung zurück. Die Tänzer seines „Ballet of Difference“ und einige körpersprachlich ebenfalls sehr begabte Darsteller des Kölner Ensembles lassen die Sprechakte Besitz ergreifen von ihren Körpern. Und so raufen sie manchmal auf dicken Turnmatten, die das Bühnenbild bereithält. Sie spielen Revolutionär und Terrorist, Angreifer und Opfer, ausgrenzende Mehrheit und hilflose Minderheit. Und als ihnen die Wörter gänzlich zerbrechen und sie nur noch Silben stammeln können wie Roboter, deren Software durchdreht, da ist auch die Bewegung virtuoses Stückwerk.

Allerdings bleibt diese gespielte, getanzte Sprach- und Zeitkritik selbst hermetisch. Siegal hat keine Figuren geschaffen, mit denen sich Zuschauer identifizieren könnten. Zwar gibt es komische Momente, aber auch die sind verkopft. So ist dieses Körpertheater seltsam unsinnlich. Siegal verweigert Momente purer Schönheit, in denen der Zuschauer die Kunst der Tänzer genießen könnte. Auch die hohe Sprache der Bühne kommt nicht zum Zug. Aischylos wird deklamiert, doch der Darstellerin fehlt ständig der Text. Die „Orestie“ sei gestohlen, heißt es da, der kulturelle Schatz Europas einfach geklaut.

Es ist ein anstrengender Abend, den Siegal aus tiefster Sprach- und Gegenwartsskepsis geboren hat. Und manchmal wünschte man, er sei beim Tanz, bei purer Körpersprache geblieben. Doch ist die totale Deformation von Kommunikation, die der Choreograf in „Roughhouse“ betreibt, nur ein Weiterdrehen der Manipulation von Sprache, die täglich zu erleben ist. Nein, der Sprache der Gegenwart ist nicht mehr zu trauen. Es ist kein Vergnügen diese Krise auf der Bühne anzusehen, aber höchste Zeit.

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