Unser Buch der Woche Ein bisschen nur die Welt retten

Der US-amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle erzählt in seinem neuen Roman „Blue Skies“ vom Umgang einer amerikanischen Familie mit dem Klimawandel.

Der 74-jährige Bestsellerautor T.C. Boyle.

Der 74-jährige Bestsellerautor T.C. Boyle.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Klar habe er Konzerte, Lesungen, Bars vermisst während des Lockdowns. „Ich trug jeden Tag die gleiche Kleidung, Tag für Tag“, sagt T. C. Boyle. Sonst aber habe er so gelebt wie immer. Bis zum frühen Nachmittag schreiben, danach ein Spaziergang am Strand oder in den Bergen von Santa Barbara. Oft suchte er sich auch einen stillen Ort in der Wildnis, um zu lesen, der Hund und die allgegenwärtigen Zecken als einzige Gesellschaft. Mit dem Resultat, dass er sich in Folge der Zeckenbisse zweimal eine Lyme-Borreliose und zweimal eine Zellulitis-Infektion einfing. Sein Glück: ein Arzt erkannte die Infektionen und die Antibiotika wirkten.

Cooper, einem der traurigen Helden in T. C. Boyles neuem Roman „Blue Skies“, ergeht es deutlich schlechter. Er ist Insektenkundler und mit Freundin Mari, die sich auf Zecken spezialisiert hat, im Gelände auf der Jagd nach den kleinen Biestern. Den Biss bemerkt er erst, als es schon zu spät ist. Die Infektion lässt sich nicht stoppen, der Arm muss amputiert werden. Ausgerechnet bei Cooper, der seit Jahren vor dem Klimawandel warnt, den Untergang prophezeit, bewusst lebt, kein Fleisch mehr isst und Wolfsmilch für die Schmetterlinge pflanzt. Typisch T. C. Boyle, der seinen Lesern den Spiegel vorhält.

Coopers Mutter Ottilie, die auf die 70 zugeht, hat sich von ihrem Sohn bereits überzeugen lassen. Sie hat sich einen Inkubator bestellt, um in Zukunft Insekten zu essen, was besser fürs Klima ist, und wechselt im Pool das Wasser nicht mehr. Bei seiner Schwester Cat dagegen stößt Cooper auf taube Ohren. Sie lebt im frisch geerbten Strandhaus in Florida, will Influencerin werden und kauft sich, weil das mehr Klicks bringt, schnell mal eine Schlange, die sie sich wie eine Stola um die Schultern legt: einen Tigerpython, der mehr als fünf Meter lang wird.

Es hat schon etwas von Galgenhumor, wenn T. C. Boyle die Sorglosigkeit von Cat auf den Pessimismus ihres Bruders Cooper prallen lässt. Wenn von einer Hochzeit zu lesen ist, die in Kalifornien von einem Waldbrand gesprengt wird. Oder von der Geburt ihrer Zwillinge, vor der sie in Florida mit dem Boot ins Hospital rudern muss, weil mal wieder ein Hurrikan die Küste überschwemmt. Und ist es nicht verantwortungslos, Babys in einem Haushalt mit einem Python aufwachsen zu lassen? Ist da das Drama nicht programmiert? Na klar! Die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

Doch nicht nur Cat im Buch hat viel zu viel mit sich selbst zu tun, um die großen Probleme anzugehen. Im Alkohol sucht sie Trost und sinkt dabei nur noch tiefer. Selbst als das Wasser ihr bis zum Hals steht, bleibt sie im faulenden Strandhaus und lebt weiter ihr Leben. T. C. Boyles Roman ist hoch unterhaltsam, zugleich brandaktuell. Trotzdem schafft er es am Ende, der Apokalypse augenzwinkernd ein wenig Hoffnung einzuhauchen.

Es wäre an der Zeit, dass dieser Autor den Nobelpreis bekommt. Der Literatur-Punk, als der er stets bezeichnet wird, ist er lange nicht mehr. Von Jahr zu Jahr legt er den Finger in die Wunde. Die Welt wird er nicht ändern. Aber er kann mit erhobenem Kopf in den Spiegel sehen.

Info T. C. Boyle: „Blue Skies“, Hanser, 400 Seiten, 28 Euro

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