Interview mit Martin Schläpfer „Risiko wirkt belebend“

Düsseldorf · Der Ballettchef wechselt im Sommer vom Rhein nach Wien. Dort wird er Direktor des Staatsballetts und der Ballettakademie. Ein Gespräch über selbstbestimmte Wechsel und die Lust am Risiko.

 Martin Schläpfer im Balletthaus in Düsseldorf. Das moderne Probenzentrum ist auf seine Initiative hin entstanden.

Martin Schläpfer im Balletthaus in Düsseldorf. Das moderne Probenzentrum ist auf seine Initiative hin entstanden.

Foto: Gert Weigelt

Ballettchef Martin Schläpfer (60) hat begonnen, Abschied zu nehmen: In seiner letzten Uraufführung für das Ballett am Rhein, Teil seines aktuellen Abends „b.41“, hat er zu Schostakowitschs zweitem Cellokonzert viele seiner Tänzer in Solosequenzen gewürdigt. Zudem wird die Compagnie in diesem Jahr einige Arbeiten des Ballettchefs neu einstudieren. Ab dem 10. Januar ist etwa seine „Reformationssymphonie“ im Theater Duisburg wieder zu erleben. Parallel arbeitet Schläpfer gerade an neuen Choreografien für das Stuttgarter Staatsballett.

Sie stehen vor großen Veränderungen, verlassen die Deutsche Oper am Rhein, Ihre Compagnie, Ihren Wohnort Düsseldorf. Vielen Menschen machen solche Brüche Angst. Wie gehen Sie mit Veränderungen um?

Schläpfer Es ist ja eine Veränderung, zu der ich mich selbst entschieden habe. Wenn Menschen Angst vor Veränderungen haben, sind das oft Entwicklungen, die auf sie einstürzen, Tod, Krankheit, Bankrott, das weckt Ohnmachtsgefühle. Selbst initiierte Veränderungen empfinde ich eher als lebendig machend. Sie zwingen einen, sich bewusst zu machen, was man verliert und so auch nie wieder haben wird – ob das nun Menschen sind, eine Stadt, super Verhältnisse in einem Probenhaus. Man blickt klarer auf das, was man hatte.

Was ist daran belebend?

Schläpfer Belebend ist die Ungewissheit des Übergangs. Man weiß nicht, was auf einen zukommt, befindet sich in einem Alarmzustand, sicher spielt auch ein My Angst mit. Wenn ich jetzt etwa einem Tänzer ein Engagement in Wien anbiete, kann ich ihm nicht genau sagen, wie es dort sein wird. Ich weiß es ja selbst nicht. Man muss also offen sein, das Risiko wollen. Das belebt.

Wie bereiten Sie sich auf Veränderungen vor?

Schläpfer Ich bin kein Mensch, der ganz frei ins Dunkle hineinspringt. Ich bereite mich vor, das ist meine Verantwortung für die Kunst und für die Menschen, mit denen ich arbeite. Was sich für den privaten Martin Schläpfer ändert, weiß ich gar nicht. Ich habe zum Beispiel noch keine Wohnung in Wien, das Private kommt bei mir immer am Schluss. Irgendwann kommt der Kipppunkt und ein schneller Schnitt. Was mich am längsten umtreibt, ist die Entscheidung, wie man sich verändern will. Man kann ja auch in einer Situation bleiben und sich innerhalb verändern. Es braucht nicht immer ein Gehen.

Was hilft Ihnen, solche Entscheidungen zu treffen?

Schläpfer Zeit! Veränderungen sind dann besonders beängstigend, wenn man keine Zeit hat, sich darauf einzustellen. Wenn sie einen einfach treffen wie ein Schicksalsschlag. Ich hatte Zeit, zu entscheiden. Eigentlich wollte ich bis 2024 in Düsseldorf bleiben und mich nur als Martin Schläpfer verändern. Ich wollte woanders leben, in der Natur, und mehr frei arbeiten. Ich habe also die Veränderung innerhalb meiner Situation gesucht. Dass es ganz anders gekommen ist, war kein Bedürfnis, aber am Ende war es mein Wille. Ich musste also meine Sicht auf die Veränderung verändern. Sich mit Veränderungen beschäftigen zu dürfen, ist auch ein Luxus. Man hat etwas zu verlieren, das ist Luxus.

Es ist auch eine Frage der Kultur, wie man damit umgeht.

Schläpfer Ja. Auch eine Frage von religiöser oder philosophischer Verankerung. Jemand, der in den Buddhismus eingebettet lebt, wird Veränderungen anders erleben als ich, der religiös wenig behütet durchs Leben geht, auch wenn ich mir das anders wünschte. Religiöse Menschen können Schicksalsschläge als Gott gegeben verstehen, als etwas Gewolltes. Als etwas, das am Schluss vielleicht doch etwas Gutes hat und Sinn ergibt.

Wer weiß, wofür es gut ist?

Schläpfer Ja. Natürlich steckt darin eine absolute Wahrheit. Ich wäre heute nicht der Choreograf, der ich bin, wenn ich nicht so früh hätte aufhören müssen zu tanzen. Wer weiß, wie es gewesen wäre, wenn ich bis zum Alter von 38 Jahren getanzt hätte.

Gibt es falsche Entscheidungen?

Schläpfer Ja, die gibt es. Wenn man seiner Intuition folgt, fällt man leicht zurück in die Grundanlage seines Charakters. In alte psychische Muster. Man trifft vielleicht keine falschen Entscheidungen, wenn man auf das eigene Leben zurückblickt und alles eben so ist, wie es geworden ist. Aber man sieht doch, dass man Muster wiederholt. Etwa, wenn Menschen sich immer wieder für den falschen Partner entscheiden. Oder bei mir die Entscheidung dafür, doch wieder Direktor zu werden in Wien, diese Last auf mich zu nehmen, die ich doch eigentlich abgeben wollte.

Man hört dann meist aus dem Umfeld: Du hast es aber selbst gewollt.

Schläpfer Ja, aber dieser Satz stimmt eben nicht ganz. Man hat es gewollt. Aber man kann nicht immer alles wollen, was zu einer Position dazugehört. Das gehört dann einfach dazu. Ballettdirektor zu sein zum Beispiel bedeutet, Menschen mit einem gewissen Druck in einer bestimmten Zeit zu einer Leistung zu bringen. Das ist nicht immer angenehm. Auch nicht für einen selbst. Als ich in Wien zugesagt habe, hat mich das also auch belastet. Aber ich glaube nicht, dass es eine falsche Entscheidung ist. Ich habe lange abgewogen und ich will das. Aber ich sehe das Muster. Wahrscheinlich können sich Menschen überhaupt weniger verändern, als sie selbst glauben.

Was lassen Sie zurück, wenn Sie endgültig nach Wien gehen?

Schläpfer Menschen, eine ganz wichtige Zeit für mich als Künstler, hervorragende Probenbedingungen, die beiden Städte Düsseldorf und Duisburg, NRW. Das kann ich noch gar nicht ganz erfassen. Ich verlasse meine Compagnie, aber die ist auch selbst im Umbruch, die verändert sich aus sich heraus. Dinge sind endlich. Und sie sollen es sein! Das ist eine bedeutsame Wahrheit in unserem Leben. Irgendwann ist es vorbei, man weiß nicht, warum, aber man muss es akzeptieren. Im Sommer wird Demis Volpi Chef des Ballett am Rhein, etwas Neues beginnt, das man nicht vergleichen sollte. Und doch wird man irgendwann vielleicht auch den Schläpfer klarer sehen.

Dorothee Krings führte das Interview.

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