Ballett Martin Schläpfer feiert seine Tänzer

In „b.41“ zeigt der Chef des Ballett am Rhein seine letzte Uraufführung, bevor nach Wien geht. Eine Verneigung vor seiner Compagnie.

 Martin Schläpfer: Cellokonzert – Boris Randzio, Rubén Cabaleiro Campo, Eric White, Virginia Segarra Vidal, Daniel Vizcayo, Wun Sze Chan, Feline van Dijken FOTO: Gert Weigelt

Martin Schläpfer: Cellokonzert – Boris Randzio, Rubén Cabaleiro Campo, Eric White, Virginia Segarra Vidal, Daniel Vizcayo, Wun Sze Chan, Feline van Dijken FOTO: Gert Weigelt

Foto: Deutsche Oper/Gert Weigelt

Ein Mann und eine Frau lehnen aneinander. Sie verharren erschöpft, als hätten sie schon eine Weile getanzt. Als sei dem, was sie nun auf der Bühne zeigen werden, schon viel vorausgegangen. Dann beginnt das Paar um einander zu kreisen, zutraulich, in tiefem Einverständnis. Ungeheuer allein setzt da das Cello ein, spielt die erste ahnungsvolle Melodie aus Schostakowitschs 2. Cellokonzert, bei der man auch immer das Gefühl hat, sie speise sich aus erlebten Höhenflügen und erlittener Demütigung, aus verblichenen Utopien und dem beharrlichen Vertrauen in die Wahrheit der Kunst, die alle Kämpfe überdauert.

Auf der Bühne lässt Schläpfer im elegischen Halbdunkel weitere Paare auftreten, bald schon die gesamte Compagnie. Zur Vielstimmigkeit der Musik entwirft er polyphone Formationen, lässt hier eine Gruppe synchron Bewegungen vollziehen, lässt sie sehnsüchtig ins Nichts greifen, zweifelnd die Positionen des klassischen Balletts probieren, greift dort Paare und Solisten heraus, die ihre Individualität entfalten. Großartig etwa Marlucia do Amaral und Marcos Menha, die einmal mehr ihre Virtuosität wie ihren ironischen Humor ausspielen. Da nimmt ein Ballettchef Abschied von seinen Tänzern, würdigt noch einmal ihre Persönlichkeit und Ausdruckskraft, zitiert zugleich aus eigenen Werken. Etwa, wenn die Tänzer sich wie zum Volkstanz an die Waden schlagen. Oder wenn die Männer, die Beine abgewinkelt, in die Hocke gehen und die Frauen für einen Moment auf einem Oberschenkel ihrer Partner Platz nehmen wie auf einer schattigen Bank, ehe der Moment zerfließt.

Auch Schläpfers widerspenstigem Humor begegnet man wieder, wenn er dem Rausch der abstrakten Bewegungen, konkrete Gesten entgegensetzt. Oder wenn er in Anspielung auf Schostakowitschs satirische Oper „Die Nase“ einen Tänzer spielen lässt, er habe seine Nase verloren. In grotesker Panik greift er sich in Gesicht, sucht nach dem entflohenen Organ, das bald zurück ist, als sei nichts geschehen. Schläpfer hat in seinen Arbeiten immer wieder solche Brüche riskiert, hat seine Zuschauer nie in den harmlosen Genuss der Schönheit des Tanzes entgleiten lassen, sondern ihren skeptischen Blick gefordert. Cellokonzert ist die letzte Uraufführung, die Schläpfer für das Ballett am Rhein entwickelt hat, bevor er im Sommer Abschied nehmen und nach Wien wechseln wird. Die Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober und Nikolaus Trieb als unsichtbarer Virtuose am Cello sind ihm temperamentvolle Begleiter. Schläpfers neue Arbeit ist nicht auftrumpfend, nicht oberflächlich glänzend; sie verlangt genaues Hinsehen, vertraut auf die geschärften Sinne eines Publikums, das ihn über 22 Arbeiten bis an diesen Punkt begleitet hat.

Zu diesem Dialog mit den Zuschauern gehörte für Schläpfer auch die Rückbesinnung auf bedeutende Werke des Tanzrepertoires. So beginnt er auch „b.41“ mit historischen Arbeiten und beschert dem Abend so einen starken Auftakt. Zunächst führt das Ballett mit „Forgotten Land“ in eine düstere Küstenlandschaft. Der langjährige Leiter des Nederlands Dans Theater, der Tscheche Jiri Kylian, spielt in dieser Arbeit von 1981 mit den machtvollen Bewegungen des Wassers, mit Wellen und Wind, dem Kommen und Gehen, dem Getragensein und Zerschmettertwerden. Zugleich zeigt er zur „Sinfonia da Requiem“ von Benjamin Britten, wie Menschen in die Strudel der Geschichte gerissen, vom Krieg verschlungen und fortgespült werden. Kylians Choreografie ist bis auf feinste Nuancen aus der Musik geschöpft und zugleich ein vollkommen eigenständiges Werk von fließender Schönheit und existenzieller Brüchigkeit.

Dann Martha Graham, die große Vordenkerin des modernen Tanzes: In „Lamentation“ zeigte sie 1930 in New York, wie sich der Körper einer Frau in einen einzigen Klageschrei verwandeln kann. In eine elastische Tuchröhre gehüllt erweckt Camille Andriot diesen aufregenden Tanz, der überwiegend im Sitzen ausgeführt wird, erneut zum Leben. Die kurze Arbeit zu einem Klavierstück von Zoltan Kodaly ist ungeheuer anspielungsreich. Sie weckt Bilder von der klassischen Pieta bis zur wehklagenden Bäuerin und findet mit ihrer expressiven Körpersprache einen Ausdruck für Entsetzen und Trauer, der sich ins Gedächtnis einbrennt. Genauso eigenwillig ist Grahams choreografische Handschrift in „Steps in the Street“. Mit dieser Arbeit für zehn Tänzerinnen reagierte sie 1936 auf den Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs. Schwarz gekleidete Frauen schieben sich in fragmentierten Bewegungen über die Bühne, vereinzelt, vom Schrecken gebannt. Dann dringt das Kriegerische auch in ihre Körper vor und sie tanzen mit abgewinkelten Armen, geballten Fäusten in klassischer Strenge. Diese Frauen sind verzweifelte Witwen und griechische Kriegerinnen zugleich. So beklagt Grahams Choreografie mit Bildern von Verhärtung, Aggression, aber auch Verletzlichkeit die verheerende Wirkung des Krieges. Bilder, die nichts an Dringlichkeit verloren haben.

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