Israels Botschafter im Interview "Augstein hat Israel hart attackiert"

Berlin · Der israelische Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, hat im Antisemitismus-Streit den Publizisten Jakob Augstein scharf kritisiert. Es sei "beschämend", dass Augstein den Gaza-Streifen als "Lager" bezeichnet habe – "was bedeuten soll: Gaza ist so schlimm wie ein KZ", sagte Hadas-Handelsman unserer Redaktion.

 Israels Botschafter Yakov Hada-Handelsman hat Jakob Augstein kritisiert.

Israels Botschafter Yakov Hada-Handelsman hat Jakob Augstein kritisiert.

Foto: RP/Endermann

Der israelische Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, hat im Antisemitismus-Streit den Publizisten Jakob Augstein scharf kritisiert. Es sei "beschämend", dass Augstein den Gaza-Streifen als "Lager" bezeichnet habe — "was bedeuten soll: Gaza ist so schlimm wie ein KZ", sagte Hadas-Handelsman unserer Redaktion.

 Journalist Jakob Augstein sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, er sei antisemitisch.

Journalist Jakob Augstein sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, er sei antisemitisch.

Foto: dpa

Herr Botschafter, in Deutschland wird derzeit viel diskutiert über die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den Verleger Jakob Augstein. Wie weit darf Kritik an Israel gehen?

Hadas-Handelsman Zunächst einmal: Kritik an Israel ist natürlich legitim. Nicht jeder, der sich kritisch über mein Land äußert, ist damit automatisch ein Antisemit oder antiisraelisch. Aber andererseits sind wir hier in Deutschland, und da sollten schon etwas andere Maßstäbe gelten. Ob Sie und ich es wollen oder nicht - das Schicksal unserer Völker ist durch die Geschehnisse der Vergangenheit auf immer verbunden. Und deswegen ist es eben etwas anderes, wenn ein Deutscher Israel kritisiert, als wenn es ein Brite wäre oder ein Norweger. Deswegen erwarte ich, dass man in Deutschland mehr Vorsicht walten lässt bei der Wortwahl, mehr Respekt und mehr Fingerspitzengefühl.

Wo verläuft denn da die Grenze?

Hadas-Handelsman Das exakt zu bestimmen ist natürlich schwierig. Aber es gibt Indizien. Wenn zum Beispiel jemand von vorneherein beteuert: "Ich habe ja gar nichts gegen die Juden! Einige meiner besten Freunde sind Juden!" oder "Ich habe nichts gegen die Israelis oder den Staat Israel. Ich habe nur etwas gegen die jetzige israelische Regierung", dann werde ich hellhörig. So rechtfertigen sich häufig Menschen, die obsessiv Kritik an Israel üben und nicht, weil es ihnen um die konkrete Sache geht. Diesen Leuten ist es dann auch egal, wer da gerade in Israel an der Regierung ist - die israelische Politik ist immer schlecht. Man darf also annehmen, dass da eine grundsätzliche Ablehnung Israels dahinter steckt.

Israelis beklagen sich häufig, dass ihr Land viel schärfer kritisiert wird als alle anderen. Stimmt denn das überhaupt?

Hadas-Handelsman Ja, natürlich, da wird sehr häufig mit zweierlei Maß gemessen. Und das löst natürlich auch Ärger in Israel aus, weil die Lage in unseren Nachbarländern doch in Wirklichkeit viel schlimmer ist, aber niemand scheint sich dafür zu interessieren. Diese Reaktion halte ich aber für falsch: Israel ist die einzige Demokratie in der Region; wir dürfen uns nicht mit unseren Nachbarn vergleichen. Unser Maßstab muss Westeuropa sein. Natürlich ist Israel alles andere als perfekt. Stellen Sie sich trotzdem einmal die Frage: Wie viele Länder in Europa hätten sich unter ähnlich schwierigen Bedingungen, wie Israel sie in den 65 Jahren seiner Existenz zu bewältigen hatte, zu einer ähnlich soliden Demokratie entwickelt? Und, mit Verlaub, auch andere Regierungen machen Fehler. Hat deswegen jemand das Existenzrecht der jeweiligen Staaten infrage gestellt? Natürlich nicht! Im Falle Israels meinen einige Leute aber, das sei ganz in Ordnung.

Wie der Rapper Bushido, der unlängst eine Nahostkarte ohne Israel verbreitet hat?

Hadas-Handelsman Ja, solche Dinge. Schauen Sie, Antisemitismus hat es immer gegeben. Nur ist es bis heute politisch unkorrekt, sich dazu öffentlich zu bekennen; in Deutschland und einigen anderen Ländern ist es sogar strafbar. Nun kommen manche Leute und machen ihn unter dem Deckmantel der Israel-Kritik salonfähig. Das läuft dann über Anspielungen, die sich der alten Klischees bedienen. Nur, dass die Akteure nicht mehr dieselben sind. Vor 20 Jahren war es noch leicht, Antisemiten zu identifizieren. Solches Gedankengut zirkulierte fast ausschließlich in konservativen bis rechtsextremen Kreisen. Das hat sich geändert. Heute beobachten wir zunehmend einen Antisemitismus von links.

Sie finden also, Jakob Augstein ist ein Antisemit?

Hadas-Handelsman Ich bin kein Psychologe, und ich kann auch nicht in den Kopf von Herrn Augstein hineinschauen. Aber wie soll ich es interpretieren, dass Augstein Israel aufs Schwerste und in zweifelhafter Wortwahl attackiert und gleichzeitig betont, dass er noch nie dort gewesen ist und auch nie dorthin will? Jemand, der so argumentiert, lässt nicht viel Raum für Interpretationen.

Das gilt auch für Günter Grass, der Israel in einem umstrittenen Gedicht vorgeworfen hat, es wolle das iranische Volk auslöschen?

Hadas-Handelsman Auch in den Kopf von Herrn Grass kann ich nicht hineinschauen. Aber wenn ich wie er 60 Jahre lang ein "kleines" Detail meines Lebenslaufes wie seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS verschwiegen hätte, dann hätte ich an seiner Stelle lieber den Mund gehalten. Die Vorwürfe, die Grass gegenüber Israel erhebt, suggerieren doch eine Botschaft: Die Israelis von heute sind auch nicht besser als die Deutschen, die einst sechs Millionen Juden ermordet haben. Er und andere sagen das nicht offen. Noch nicht. Augstein beschränkt sich vorläufig darauf, den Gazastreifen als "Lager" zu bezeichnen. Was bedeuten soll: Gaza ist so schlimm wie ein KZ . Das ist beschämend.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die heftige Debatte um die Beschneidung, die wir unlängst in Deutschland hatten?

Hadas-Handelsman Ich habe immer gesagt: Das ist eine Frage, die die Deutschen unter sich ausmachen müssen. Die Frage, wie tolerant diese Gesellschaft mit deutschen Minderheiten umgeht. Aber natürlich hat diese Diskussion im Ausland und ganz besonders auch in Israel zu großer Sorge geführt, weil sie eben in Deutschland stattgefunden hat. Noch einmal: Das ist der Schatten Ihrer Geschichte, dem werden Sie nicht entkommen. Die Bundesregierung hat das sofort begriffen, als sie sich für eine schnelle gesetzliche Regelung eingesetzt hat - um schweren Schaden vom Ansehen Deutschlands abzuwenden.

Der Konflikt mit den Palästinensern und der stockende Friedensprozess in Nahost spielen im laufenden israelischen Wahlkampf nur eine überraschend kleine Rolle. Warum?

Hadas-Handelsman Ein Grund dafür ist sicher, dass viele Israelis sehr enttäuscht sind von den bisherigen Ergebnissen. Sie finden, dass Israel sich kompromissbereit gezeigt hat, dass es einseitige Vorleistungen gegeben hat, und dass sich trotzdem nichts bewegt hat. Zum Beispiel hat sich Israel 2005 aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen, und was haben wir davon gehabt? Heute regiert dort die radikal-islamische Hamas und beschießt Israel mit Raketen. Wir leben leider nicht im zivilisierten Europa, wir leben in einer Region, wo Dialogbereitschaft gerne als Schwäche interpretiert wird. Die Israelis beobachten die Entwicklungen in der arabischen Welt und hoffen sehr, dass dort der Übergang zur Demokratie gelingen wird. Jeder hat das Recht, unter freien und demokratischen Bedingungen zu leben. Uns irritiert aber sehr, dass der Israelhass in der arabischen Welt noch so groß ist und Israel immer wieder zum Sündenbock für alles Mögliche gemacht wird. Außerdem strebt der Iran weiterhin danach, zur Atommacht zu werden. Der Fokus im Wahlkampf liegt aber mehr auf innerisraelischen Debatten wie der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Und die Siedlungspolitik?

Hadas-Handelsman Wenn wir uns mit den Palästinensern einig werden, könnten im Rahmen eines Vertrages Siedlungen abgerissen werden. Das ist ein Problem, aber das haben wir auch früher schon gemacht. Als wir uns 2005 einseitig aus dem Gazastreifen zurückgezogen haben, haben wir alle dortigen Siedlungen geräumt, ebenso wie fünf Siedlungen im Westjordanland. Auch beim Friedensschluss mit Ägypten 1979 haben wir alle Siedlungen auf dem Sinai geräumt und ihn komplett an Ägypten zurückgegeben. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Israelis immer noch für eine Zweistaatenlösung ist, selbst unter den Siedlern ist eine Mehrheit unter bestimmten Bedingungen für die Schaffung eines Palästinenserstaats. Aber das Gefühl vieler Menschen in Israel ist: Wir haben alles versucht, und es hat nichts gebracht. Deswegen interessieren sich viele israelische Wähler heute mehr für wirtschafts- oder sozialpolitische Fragen als für den Friedensprozess. Aber natürlich wünschen sie sich Frieden.

Matthias Beermann fasste das Gespräch zusammen.

(mbe)
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