Fotorealismus in Games Path-Tracing kommt – realistischer wirds nicht

Düsseldorf · Erstmals scheint der heilige Gral der „physikalisch korrekten“ Beleuchtung zum Greifen nah. Denn wo Licht ist, sollte auch Schatten sein. In Computerspielen war das lange Zeit anders.

Half-Life im Path-Tracing-Vergleich: vorher - nachher
16 Bilder

Half-Life im Path-Tracing-Vergleich – so schön kann der Klassiker aussehen

16 Bilder
Foto: Half-Life (Valve)/Screenshot

In den vergangenen drei Jahrzehnten ging immer wieder ein Aufschrei durch die Gaming-Gemeinde: „Jetzt sieht es aus wie echt, das ist Fotorealismus!“ Natürlich war es das nie so ganz, noch weniger aus heutiger Perspektive. Und doch waren wir alle immer wieder begeistert, wenn die Grafik den nächsten großen Sprung machte. Wie glaubwürdig ist es also, wenn heutzutage jemand die „Fotorealismus-Flagge“ schwenkt?

Computerspiele pfuschen, wo sie nur können

Am Anfang war die Textur. Diese musste als Oberfläche für alles herhalten. Sollte eine Wand oder ein Schalter oder ein Fenster leuchten, wurde die Textur im Spiel heller eingestellt. Mit Beleuchtung hatte das so wenig zu tun, wie eine hellere Farbe in einem gemalten Bild.

Als dann „richtige“ Lichtquellen einzogen in Spiele, musste, um Rechenleistung zu sparen, weiter geschummelt werden. Denn Licht und Schatten wurden vorberechnet. Den Schatten also, den ein Tisch angestrahlt von einer Lampe warf, war fest in das Spiel einprogrammiert. Hätte man den Tisch bewegen können, wäre der Schatten einfach stehen geblieben. Das war das Zeitalter der statischen Beleuchtung in Spielen.

Allmählich, mit zunehmender Leistung der Spiele-Hardware, konnten Entwickler auch dynamische Lichtquellen in ihre Welten einbauen. Deren Licht- und Schattenwurf wurde in Echtzeit berechnet. Die Silhouette einer Spielfigur bewegte sich mit dieser mit und passte sich an entsprechende Untergründe an. Doch auch dies war nur begrenzt „echt“.

So hatten frühe Schatten eine messerscharfe Kante, waren immer gleich groß und gleich dunkel, egal in welcher Höhe die Lichtquelle saß. Zudem gab es oft nur wenige dynamische Lichtquellen, die einen solchen Schatten werfen konnten. Auch war die Intensität des Schattens voreingestellt und wurde nicht von weiteren Lichtquellen oder der Beschaffenheit des Untergrunds beeinflusst.

Eine mit Path-Tracing erstellte Szene, die nicht mehr von der Realität unterscheidbar ist.

Eine mit Path-Tracing erstellte Szene, die nicht mehr von der Realität unterscheidbar ist.

Foto: Wikipedia / Gnash

Zu guter Letzt waren natürlich nicht nur Schatten, sondern auch alle Farben, Helligkeiten und Reflexionen immer nur Annäherungen an die Realität. Um ein Beispiel zu geben: Legen Sie einen roten Ball vor eine weiße Wand, wird die Wand einen roten Schimmer bekommen, weil das Licht natürlich auch vom Ball an die Wand reflektiert wird. Allein dieser offensichtliche Effekt fand bis 2007 praktisch in Spielen nicht statt. Und auch, wenn er bis heute weiterentwickelt wurde, ist er in der Regel immer noch abschaltbar, falls die Hardware nicht mitkommt.

Spieleentwickler erfanden im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte beinahe unzählige Methoden, um physikalische Korrektheit vorzutäuschen. Nötig war das immer, weil die tatsächliche Berechnung der Effekte die Leistung der aktuellen Hardware um ein Vielfaches überstieg. Ein weiteres Beispiel: Der 2001 erschienene, komplett im Computer generierte Film „Final Fantasy – The Spirits Within“ enthielt 141.964 einzelne Bilder. Jedes dieser Bilder benötigte 90 Minuten zur Berechnung, der gesamte Film also über 24 Jahre Rechenzeit. Natürlich wurden die Bilder auf einer großen Serverfarm parallel berechnet, sonst wäre der Film heute noch nicht erschienen.

Das passiert beim Schummeln: Die Spiegelung in der Pfütze dürfte nicht zu sehen sein, da im Hintergrund eine Wand die Sicht versperrt.

Das passiert beim Schummeln: Die Spiegelung in der Pfütze dürfte nicht zu sehen sein, da im Hintergrund eine Wand die Sicht versperrt.

Foto: Cyberpunk 2077 (CD Projekt Red)/Screenshot

Es ist nicht so, als ob es die nötigen Formeln nicht gegeben hätte, und sie sind sogar (wenn man sich damit auskennt) verhältnismäßig schlicht. Aber die physikalisch korrekte Berechnung ist aus genau diesem Grund wenig Hardware schonend. Denn im Prinzip muss der Computer nur ganz stumpf den Weg des Lichts vom Auge des Betrachters (des Spielers/der Kamera) aus nachverfolgen – und dabei alle Oberflächeneigenschaften wie Farbe, Brechung, Absorption, Reflexion, Streuung etc. berücksichtigen. Doch diese Berechnung muss in einer komplexen Szene und bei hoher Auflösung außerordentlich oft in sehr kurzer Zeit geschehen. Darum setzten die Produzenten des Final-Fantasy-Films auf 960 parallel arbeitende Prozessoren in ihrer Serverfarm. Doch wer will sich schon 960 Computer zu Hause hinstellen?

Dann kam Ray-Tracing – und pfuschte wieder

Im Jahr 2018 brachte Grafikkartenhersteller Nvidia seine 20er-Serie heraus, die fortan auf das Kürzel RTX hören sollte. Die drei Buchstaben stehen für „Ray Tracing Texel eXtrem“ und sollen die besondere Eignung für die Berechnung von (Licht-)Strahlen (englisch: ray) und deren Spuren (englisch: trace) hervorheben. Vollmundig wurde ein neues Zeitalter angekündigt, dem erstaunlich schnell die Luft (genauer gesagt die Rechenleistung) ausging.

 Der Effekt des Bildrauschens, wenn die Zahl der zur Berechnung benötigten Strahlen nicht hoch genug ist.

Der Effekt des Bildrauschens, wenn die Zahl der zur Berechnung benötigten Strahlen nicht hoch genug ist.

Foto: Wikipedia / Gnash

Denn obwohl Ray-Tracing nur für wenige Effekte wie Spiegelungen und Schattenwurf eingesetzt und auch dort noch von bestehenden Lösungen unterstützt wurde, waren die erreichten Bildraten selten zufriedenstellend. Das Problem war, dass die Auflösungen moderner Monitore vielfach über 1080p lagen, die 20er-Karten aber bestenfalls bis 1080p die beworbenen Effekte halbwegs leisten konnten. Nicht zuletzt mussten Spieleentwickler die neuen Möglichkeiten auch erst einmal einsetzen. So war die Zahl der Spiele, die Ray-Tracing unterstützte, überschaubar.

Ab jetzt könnte sich das alles endlich ändern

Inzwischen hat Nvidia zwei weitere Grafikkartengenerationen nachgelegt und auch AMD und Intel ziehen bei der Unterstützung von Ray-Tracing nach. Die Leistung für Ray-Tracing in hohen Auflösungen ist also da, doch warum sich mit einer „halbwegs“ korrekten Berechnung der Spielwelt zufriedengeben?

Im vergangenen Jahr hat Nvidia den nächsten Schritt eingeläutet, diesmal mit deutlich weniger Tamtam. Das sogenannte Path-Tracing wurde bisher überwiegend auf Entwickler-Konferenzen vorgestellt. Eine erste Umsetzung für das seinerzeit sehr beliebte Puzzle-Spiel „Portal“ (2007) dient als Machbarkeitsstudie, was die Technik kann. Und das ist aktuell nicht nur das beste, was in Echtzeit berechnete Computergrafik zu bieten hat, sondern könnte vielleicht das Ende einer langen Tradition bedeuten.

Was ist Path-Tracing?

Path-Tracing macht genau das, was physikalisch korrekt ist: Es berechnet den Weg der Lichtstrahlen vom Zuschauer bis zum Objekt und von dort zum nächsten Objekt und zum nächsten usw. Die Zahl der sogenannten „Bounces“ (englisch für Abpraller) legt fest, wie viele dieser Reflexionen pro Lichtstrahl berücksichtigt werden sollen. Je mehr davon, umso mehr wirken sich auch Lichtquellen noch aus, die erst hinter der übernächsten Ecke angebracht sind. So als würden Sie in der Küche das Licht anmachen und im Wohnzimmer schauen, wie viel davon, durch den Flur hindurch und bei halb offenen Türen, noch dort ankommt. Im erwähnten Portal lassen sich bis zu vier solcher Abpraller einstellen, was sehr viel Leistung benötigt. Aber auch mit nur zwei Abprallern ist das Ergebnis bereits hervorragend.

Top 25: Die meistverkauften Videospiele bis 2023
26 Bilder

Die meistverkauften Videospiele der Welt

26 Bilder
Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

Der zweite entscheidende Faktor für Qualität und Rechenleistung des Path-Tracing ist die generelle Anzahl an Strahlen, die „losgeschickt“ werden. Je weniger Strahlen, desto weniger Leistung wird benötigt, aber das Ergebnis leidet unter dem Effekt des Bildrauschens. Fotografen kennen das Problem von Aufnahmen in dunkler Umgebung.

Dafür gibt es zwei Lösungen. Die Erste: Maximal viele Strahlen berechnen, wenn der Computer das mitmacht. Die Zweite: Pfuschen, was sonst? Nvidia hat, ähnlich wie auch Digital-Kamera-Hersteller, ausgeklügelte Algorithmen entwickelt, die das Rauschen nachträglich herausrechnen. Und das kostet selbst in Echtzeit weniger Leistung als die Berechnung der zusätzlichen Strahlen.

Was uns die neue Technik bringen kann, zeigt Nvidia-Entwickler Sultim Tsyrendashiev. Dieser arbeitet schon seit einiger Zeit an Path-Tracing-Umsetzungen für ein paar der erfolgreichsten älteren Spiele – darunter Quake, Doom und Half-Life. Weil diese Titel aktuelle Hardware kaum noch fordern, bleibt genug Rechenleistung für die Path-Tracing-Berechnungen. Und die Half-Life-Implementierung zeigt eindrucksvoll, wie viel eine so berechnete Beleuchtung selbst in einem 25 Jahre alten Spiel ausmacht.

Ist das jetzt Fotorealismus?

Grob gesagt: Realistischer wirds nicht. Natürlich kann mit zunehmender Rechenleistung die Zahl der Abpraller und der Strahlen weiter hochgedreht werden, aber am grundsätzlichen Ergebnis wird sich dadurch nicht mehr viel ändern.

Möglich bleibt natürlich, die Zahl der Objekte und Lichtquellen zu erhöhen in einer Szene. Entwickler können weiter am Detailgrad ihrer Objekte schrauben, deren Auflösung erhöhen, die Zahl der Polygone, aus denen ein Objekt besteht, vervielfachen. All das geht auch weiterhin, aber im Bereich der Beleuchtung scheint Path-Tracing das Ende einer langen Entwicklung zu sein.

Wird das die Spieleentwicklung verändern?

Die Grafik moderner Spiele ist schon jetzt hoch detailliert und bietet unzählige mögliche Effekte. Entwickler haben also nicht auf Path-Tracing warten müssen, um ihre Ideen und Geschichten umsetzen zu können. Die aktuelle Konsolengeneration und auch der Großteil der heimischen PCs wird ohnehin noch nicht die nötige Leistung aufbringen können, um die Technik auch in modernen Spielen abzurufen.

Ist Path-Tracing deshalb eine Luftnummer? Nein. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass in spätestens ein bis zwei Grafikkartengenerationen und vermutlich auch mit der nächsten Konsolengeneration Path-Tracing ein Standard-Feature wird, das jene zahlreichen Schummeleien ablöst. So will zum Beispiel Nvidia am 22. März auf der Game Developers Conference (GDC) in San Francisco Path-Tracing für das 2020 erschienene Cyberpunk 2077 vorstellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort