Kolumne: Die Ökonomin Belgien, die arme Schwester der Niederlande
Gemeinsame Sprache, gemeinsame Geschichte - und doch läuft Belgien heute hinterher. Wie konnte das passieren?
Belgien und die Niederlande sind wie Schwestern: Lange Zeit hatten sie dieselbe Geschichte, sie haben in Teilen die gleiche Sprache und Landschaft. Doch mittlerweile sind es höchst ungleiche Geschwister, wie sich gut in Flandern studieren lässt:
In niederländisch Flandern, rund um Breskens, sind Dörfer propper, Radwege breit, Straßen tadellos. Doch hat man die Grenze passiert, wird es Richtung Oostende rumpelig. Schlaglöcher in den Straßen, verlassene Baustellen, leerstehende Ladenlokale. Wie kann das sein?
Belgien ist ein gutes Beispiel für den Aufstieg und Fall von Nationen, über den sich Ökonomen seit Jahrhunderten Gedanken machen. "Der Wohlstand der Nationen" heißt schon das berühmteste Buch von Adam Smith. Das belgische Brügge zeigt, was eine Nation wirtschaftlich groß machen kann: eine gute geografische Lage (im 12. Jahrhundert hatte Brügge Zugang zur Nordsee), gute Arbeitskräfte, eine Politik, die dem Handel Entfaltung ermöglicht. Das flandrische Tuch hat die Gegend reich gemacht. Doch mit Brügges Herrlichkeit war es im 15. Jahrhundert vorbei, als der Zugang zur Nordsee versandete, die Politik dem Handel Fesseln anlegte - und sich die Tuchhersteller dem technischen Fortschritt wie mechanischen Walkmühlen und Webstühlen verweigerten. England lief Flandern den Rang ab, die Gegend wurde in Kriegen zum Spielball.
Offenbar ist es auch die Politik, die heute für die Rückständigkeit im Vergleich zur Niederlande mit verantwortlich ist. Bis in die jüngste Zeit leistet sich das Land Auseinandersetzungen zwischen Flamen und Wallonen, anstatt seine Kraft in den Aufbau einer Post-Montan-Wirtschaft zu legen. Häufige Regierungswechsel schaffen Unsicherheit und Instabilität. Und mit einer Verschuldungsquote von über 100 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung steht das Land EU-weit schlecht da und hat sich die Hände für politische Gestaltung gebunden.
Gute Politik kann Wachstum nicht erzwingen, aber schlechte kann es verhindern - das galt im 13. Jahrhundert, das gilt heute.
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