Westliche Firmen im Russland-Dilemma Verkaufen? Schlüssel abgeben? Treuhändern vertrauen?

London/Frankfurt/Moskau · Ölkonzerne, Banken, Autobauer - sie alle haben in Russland investiert und stehen nun vor schweren Entscheidungen. Welche Zukunft hat ein Engagement noch in dem Land? Und was passiert mit Fabriken, Angestellten und Geschäften? Ein Überblick über die Möglichkeiten.

Ein Mann zählt russische Rubel-Geldscheine (Symbolbild).

Ein Mann zählt russische Rubel-Geldscheine (Symbolbild).

Foto: dpa/Arno Burgi

Russlands Vize-Ministerpräsident Andrej Belussow unterbreitete den Unternehmen drei Alternativen: "Das Unternehmen setzt seine Tätigkeit in vollem Umfang in Russland fort", erklärte er. "Ausländische Inhaber geben ihre Anteile an russische Treuhänder ab und kehren später zurück", fügte er an und ergänzte: "Das Unternehmen stellt seine Tätigkeit gänzlich ein, schließt die Produktion und entlässt die Belegschaft." Alle drei Möglichkeiten bergen Risiken.

Wer bleibt, droht bei Sanktionen unter die Räder zu geraten. Die Treuhandlösung ist gefährlich, weil niemand garantiert, dass das Geschäft später wieder rückgängig gemacht und die Kontrolle zurückgegeben wird. Und bei einem Exit aus Russland drohen Abschreibungen und damit Verluste. "Es ist ein komplizierter Prozess", sagt Darren Woods, Chef des US-Ölkonzerns ExxonMobil, der sich aus Öl- und Gasgeschäften mit Partnern wie dem russischen Konzern Rosneft im Volumen von vier Milliarden Dollar zurückzieht. Vorbereitungszeit blieb den Firmen kaum. Die Invasion in der Ukraine - welche Russland als "Spezialoperation" bezeichnet - zog unverzüglich Sanktionen der USA und Europas nach sich, die zahlreiche Wirtschaftsbereiche betrifft, vom weltweiten Zahlungssystem bis zu Hightech-Produkten.

Wie Exxon verlassen auch BP und Shell Russland. TotalEnergies will zunächst bleiben, aber nicht mehr investieren. Deutschlands Autobauer haben Produktion und Export gestoppt. Ikea hat seine Geschäfte geschlossen, will die Mitarbeiter aber noch drei Monate lang zahlen. "Westliche Firmen haben wahrscheinlich noch nie seit dem Sturz des Schahs im Iran so viel Geld wegen geopolitischer Entwicklungen verloren", schätzt der Chefvolkswirt von Renaissance Capital, Charlie Robertson.

Wer geht, steht vor der Frage, was dann mit den Geschäften passiert. Die Zahl möglicher Käufer ist begrenzt. Der britische Versicherer und Vermögensverwalter Royal London etwa hat angekündigt, seine Russland-Aktivitäten zu verkaufen. Unklar ist, wer zugreift. Vize-Ministerpräsident Belussow brachte für Firmen, die ihre Koffer packen, die Möglichkeit eines Schnell-Insolvenzverfahrens ins Spiel, um einen Weiterbetrieb zu sichern. Das würde "die Beschäftigung und das Wohlergehen der Bevölkerung unterstützten, so dass Investoren die Funktion der Geschäfte aufrecht erhalten können".

Viele Firmen rechnen unterdessen noch aus, wie viel sie ein Rückzug aus ihren Russland-Geschäften kosten würde und wie hoch die Verluste ausfallen. Bislang kommen Unternehmen, Banken und Investoren auf eine Summe von insgesamt mehr als 110 Milliarden Dollar, doch diese Zahl dürfte steigen. Norwegens Staatsfonds hat bereits seine russischen Bestände im Volumen von rund drei Milliarden Dollar abgeschrieben. Societe Generale kommt auf rund 20 Milliarden Dollar und erklärte zuletzt, über genügend Puffer selbst für ein Extremszenario zu verfügen. Die italienische Großbank Unicredit würde die Abschreibung ihres Russland-Geschäfts Insidern zufolge über eine Milliarde Euro kosten. Das Institut hat 2,3 Milliarden Euro an Eigenkapital bei ihrer russischen Tochter gebunden, etwa 3,7 Prozent des gesamten Eigenkapitals des Finanzkonzerns.

Die Deutsche Bank erklärte, sie habe ihre Geschäfte einem Stresstest unterzogen. Die Bank verfügt über ein großes Technologiezentrum in Russland und hat erst im Dezember ein neues Büro in Moskau eröffnet, ein Schritt, den sie damals als "signifikantes Investment und Bekenntnis zum russischen Markt" bezeichnet hatte.

(felt/Reuters)
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