Kritik an Leiharbeit in der Pflege „Der alte Mensch steht nicht mehr im Mittelpunkt“

Mönchengladbach/Düsseldorf · Die Zahl der Menschen, die als Zeitarbeiter in der Pflege arbeiten, ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Dies führt allerdings zu Bedenken, da Leiharbeit den Personalmangel in der Pflege verschärft. Ein Betreiber von Altenheimen in Mönchengladbach hat daher sein eigenes Konzept entwickelt, um dem entgegenzuwirken.

 Helmut Wallrafen ist Chef der Sozial-Holding Mönchengladbach, die sieben Altenheime betreibt. Er spricht sich gegen die Leiharbeit in der Pflege aus.

Helmut Wallrafen ist Chef der Sozial-Holding Mönchengladbach, die sieben Altenheime betreibt. Er spricht sich gegen die Leiharbeit in der Pflege aus.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Zeitarbeit in der Kranken- und Altenpflege ist beliebt. Waren 2013 insgesamt 20.167 Menschen in der Pflege bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, waren es 2022 bereits 39.449 – die Zahl hat sich also fast verdoppelt. Viele Einrichtungen in Deutschland sehen die hohe Zahl der Leiharbeiter, wie sie auch genannt werden, aber als Problem an, wie die „Süddeutsche Zeitung“ im Januar berichtete: Leiharbeit verschärfe den Personalmangel in der Pflege, sagen sie. „Laut dem Bundesverband Pflegemanagement würden die Firmen fest angestellte Pflegekräfte ‚aggressiv’ abwerben“, heißt es in dem Bericht der Zeitung.

Das sieht auch Helmut Wallrafen so. Er war selbst Altenpfleger, heute ist er Geschäftsführer der Sozial-Holding Mönchengladbach, die sieben städtische Altenheime betreibt. Wallrafen sagt, das Problem bei Leiharbeit sei, dass die Leiharbeiter sich selbst aussuchen wollen, wann sie arbeiten. „Das kann aber nicht funktionieren, die Menschen in den Pflegeheimen benötigen eine Betreuung 365 Tage im Jahr, 24 Stunden in der Woche. Nicht der Zeitarbeiter sagt, wann er kommen will, sondern die alten Menschen geben das vor.“ Sie seien der Chef, meint Wallrafen, der sich selbst auch als Dienstleister bezeichnet: „Ich muss das tun, was der alte Mensch möchte, aber der steht nicht mehr im Mittelpunkt. Der alte Mensch ist aber König!“

Um das wieder ins Gleichgewicht zu bringen, arbeitet Wallrafen mit einem Springerpool-Konzept, das er selbst aufgebaut hat: Fällt ein Altenpfleger aus, weil er beispielsweise krank oder im Urlaub ist, hat Wallrafen die Aufgabe, diesen durch einen Springer zu ersetzen. Dieser verdient in den Heimen in Mönchengladbach 29 Euro brutto die Stunde zuzüglich Zulagen (zum Vergleich: Die Mindeststundenentgelte für examinierte Pflegefachpersonen liegen laut Verdi ab 1. Juni 2023 bei 18,75 Euro) und wird in den Heimen geschult, muss aber auch zeitlich flexibel und mobil sein: Der Springer erhält zwar auch – wie die fest angestellten Pfleger – einen Monat im Voraus seinen Dienstplan, die Früh- und Spätdienste sind also verbindlich geplant, er erfährt allerdings erst kurzfristig, wo er an welchem Tag arbeitet. So kann es sein, dass Wallrafen einen Springer vormittags in einem der sieben Altenheime einsetzt und nachmittags in einem anderen, wenn dort gerade Personalnot herrscht. „Leiharbeit ist also dann, wenn ich sie brauche“, sagt er. Jeder seiner fest angestellten Pfleger kann Springer werden, viele lehnen das Angebot jedoch ab, weil sie in den Heimen feste Bezugspersonen haben wollen, um die sie sich kümmern.

Mit dem Springerpool-Konzept äußert Wallrafen, der selbst einige Leiharbeiter beschäftigt, weil er 30 bis 40 Prozent der Mitarbeiter nicht ersetzen kann, Kritik an der Politik. Diese will Leiharbeit nicht verbieten, im Gegenteil: Arbeitgeber sollten „mit einer Aufwertung der regulären Arbeitsverhältnisse und nicht mit Verbotsideen reagieren“, hieß es im März aus dem NRW-Arbeits- und Gesundheitsministerium. Angesichts ihres insgesamt geringen Anteils sei ein rechtssicheres Verbot der Leiharbeit in der Altenpflege auch nicht zu begründen. Träger von Kliniken und Pflegeheimen forderten vor einem Verbot noch Weiteres, unter anderem die Deckelung der Entgelte auf das Eineinhalbfache des Gehalts einer fest angestellten Kraft, die Beschränkung von Vermittlungsprämien, die Übernahme zusätzlicher Kosten durch die Krankenkassen und weitere Vorgaben für Personaldienstleister.

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