Mehr Lohn, flexiblere Arbeitszeiten Das bedeutet der Zeitarbeit-Boom in der Pflege für Patienten und Kliniken

Düsseldorf · Leiharbeit im Gesundheitsbereich ist beliebt. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen sieht darin aber keine langfristige Lösung im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Die Politik geht sogar noch einen Schritt weiter.

Besonders in der Altenpflege ist die Zahl der Zeitarbeitnehmer stark gestiegen. Die Bewohner müssen sich dagegen auf immer neue Pflegepersonen einstellen.

Besonders in der Altenpflege ist die Zahl der Zeitarbeitnehmer stark gestiegen. Die Bewohner müssen sich dagegen auf immer neue Pflegepersonen einstellen.

Foto: dpa/Jens Büttner

Mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten, dazu noch Überstunden leisten und schlecht bezahlt werden: Immer mehr Menschen, die in der Pflege tätig sind, entscheiden sich gegen die Festanstellung in einem Pflegebetrieb und für die Zeitarbeit. Das heißt, sie haben einen Arbeitsvertrag mit einer Zeitarbeitsfirma geschlossen, die Arbeitnehmer(innen) einem Pflegeunternehmen überlässt, das gerade mit Personalnot zu kämpfen hat. Die Gründe für die Zeitarbeit sind vielfältig: Beschäftigte verdienen – anders als in vielen anderen Branchen, in denen Zeitarbeit möglich ist – mehr Geld, müssen meist weniger Wochenend- und Nachtschichten übernehmen und haben ein Mitspracherecht bei der Gestaltung ihres Dienstplans.

Dieses Modell überzeugt immer mehr Menschen: Waren 2013 insgesamt 20.167 Menschen in der Pflege bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, waren es 2022 bereits 39.449 – die Zahl hat sich also fast verdoppelt. Grund dafür ist der Fachkräftemangel: Laut einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) fehlten 2020/2021 im Durchschnitt 17.000 Fachkräfte. Experten zufolge könnte sich die Situation noch verschärfen. Besonders hoch ist der Anteil der Zeitarbeiter, die in der Altenpflege tätig sind: 2013 waren hier etwa 72 Prozent der in der Pflege arbeitenden Zeitarbeiter tätig. 2022 waren es etwa 71 Prozent. „Insgesamt ist die Leiharbeitsquote seit 2017 leicht gesunken. Das gilt auch für Fachkräfte und Spezialisten. In der (Alten-)Pflege waren die Leiharbeitsquoten unterdurchschnittlich. Sie sind jedoch über die Zeit hin stetig gestiegen“, ordnet Elke Jahn vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Zahlen ein.

Einer, der selbst als Altenpfleger bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt ist, ist Fabian Jatho. Der 32-Jährige war zunächst mehrere Jahre lang in verschiedenen Altenheimen fest angestellt, bevor er zur Zeitarbeit wechselte. „Die Situation in den Altenheimen war sehr menschenunwürdig, das konnte ich nicht mit meinen moralischen Werten vertreten“, erklärt er den Grund seines Wechsels. Als Beispiel nennt er die Lieferung des Essens an die Bewohner, um die sich eine externe Firma gekümmert hat, sodass die Seniorinnen und Senioren jahrzehntelang tagtäglich die gleichen Speisen zum Frühstück und zum Abendessen bekamen. „Daher bin ich zur Zeitarbeit gegangen, um was zu verändern“, sagt Jatho.

Doch auch da lief anfangs nicht alles glatt. In der ersten Zeit habe sich kein Ansprechpartner gefunden, der sich um den 32-Jährigen kümmern wollte. Daher ist er noch mal zu einer anderen Zeitarbeitsfirma gewechselt, bei der er jeweils mindestens einen Monat lang mal in einem Altenheim, in einem Hospiz, in einer Behindertenwerkstatt oder in der ambulanten Pflege arbeitet. Die Vorteile dabei: Jatho arbeitet 35 Stunden in der Woche, er muss keine Überstunden machen, wenn er das nicht möchte, verdient mehr Geld und kann sein Zeitkonto, wie er es nennt, selbst verwalten. „Es ist mehr Freiheit, mehr Mitspracherecht und mehr Wertschätzung“, sagt er. Dennoch gibt es einige Nachteile: „Ich muss flexibler sein, weil ich mich immer wieder in neue Teams einarbeiten muss“, sagt Jatho. Auch muss er weitere Strecken zur Arbeit als vorher fahren, da er in Duisburg-Homberg wohnt, aber unter anderem auch in Oberhausen oder Bottrop eingesetzt wird.

Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen sieht solche Beispiele nicht als Lösung, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Es könne aber dazu beitragen: „Zeitarbeitsunternehmen gehen zunehmend dazu über, ihren Beschäftigten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten, einige haben sich bereits als Bildungsträger zertifizieren lassen oder kooperieren eng mit Ausbildungsinstitutionen. Das hat einen einfachen Grund: Gut aus- oder weitergebildete Arbeitskräfte lassen sich besser vermitteln – und sie verdienen mehr“, antwortet ein Sprecher des Verbands auf Anfrage.

Er spricht sich aber klar dafür aus, dass Zeitarbeit nur befristet möglich sein soll und nicht auf Dauer funktionieren kann, da die Kliniken dies sonst nicht finanzieren können. Kostet die Häuser eine fest angestellte Tarifkraft rund 60.000 Euro im Jahr (Stufe P-7), müssen für einen Zeitarbeitnehmer 108.500 Euro im Jahr aufgewendet werden. Das hat die Unionsfraktion im Bundestag laut „Süddeutscher Zeitung“ errechnet. Grund für die höhere Summe ist die höhere Bezahlung, die Zeitarbeitsfirmen den Pflegekräften anbieten.

Aus diesem Grund will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Zeitarbeit in der Altenpflege eindämmen. Unter anderem soll den Angaben zufolge künftig vorgeschrieben werden, dass Pflegeeinrichtungen die Mehrkosten für den Einsatz von Leiharbeitern nicht den Pflegekassen in Rechnung stellen dürfen. Als Obergrenze sollten die in der Branche üblichen Tariflöhne gelten. Auch Vermittlungsgebühren für Zeitarbeitsfirmen sollen nicht abgerechnet werden dürfen. Mittels Gesetzesentwurf soll ein wirtschaftlicher Anreiz gesetzt werden, um Stammpersonal zu halten und ungleiche Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zulasten des Stammpersonals zu beschränken.

Auch die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) spricht sich für eine Reglementierung der Zeitarbeit in der Pflege aus. Ein Sprecher schreibt auf Anfrage per Mail: „Damit die wirtschaftliche Basis der Kliniken nicht noch weiter erodiert und sie nicht tiefer ins Defizit getrieben werden, müsste die Leiharbeit, unter anderem durch eine Deckelung der Leiharbeitskosten und eine Abschaffung der Vermittlungshonorare, weitgehend eingeschränkt werden. Es darf nicht sein, dass der trotz wachsender Beschäftigtenzahlen zunehmende Fachkräftemangel zum lukrativen Geschäftsmodell auf Kosten der Daseinsvorsorge wird. Die den Kliniken entstehenden Mehrkosten müssen von den Krankenkassen übernommen werden. Denn meist werden Leiharbeitskräfte in der Pflege kurzfristig eingesetzt, um die personellen Mindestanforderungen – beispielsweise durch die Pflegepersonaluntergrenzen und Vorgaben des G-BA – in der Versorgung von Patientinnen und Patienten einhalten zu können.“

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