Euro-Gipfel in Brüssel Merkel will weitergehen als Sarkozy

Brüssel (RPO). Auf ihrer Presskonferenz demonstrierten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy beim EU-Gipfel Geschlossenheit. Entscheidungen blieben erwartungsgemäß aus. Wieder einmal lähmen Deutschland und Frankreich mit ihrer Interessenkollision Europa. Zumindest auf Italien konnten sich die beiden Regierungschefs einschießen. Hinter den Kulissen bleiben jedoch entscheidende Fragen offen.

Euro-Gipfel: ein Blick in die Gesichter
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Das Verhältnis zwischen Merkel und ihrem Amtskollegen Sarkozy ist derzeit verbesserungsfähig. Seit Wochen liegen die beiden in Sachen Euro-Rettung auseinander. Sarkozy will die tief im Griechenland-Schlamassel verstrickten französischen Banken schonen, Merkel mag nicht mehr als Zahlmeister Europas ausgenutzt werden - auch aus Rücksicht auf die zunehmend kritische Lage in der eigenen Regierung.

Für die europäischen Partner ist das alles andere als ein Spaß. Wenn die beiden Lokomotiven Europas in gegensätzlicher Fahrtrichtung die Gleise blockieren, geht nichts mehr. Noch unmittelbar vor Beginn des Gipfels wetterte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker über das Duo: "Die Außenwirkung ist desaströs. Wir geben hier kein eklatantes Beispiel für gehobene Staatsführung." Wegen des Konflikts zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatschef Nicolas Sarkozy, wie die 440 Milliarden Euro des EFSF am effektivsten eingesetzt werden, stand der Gipfel am Sonntag gar auf der Kippe.

Berlin will Banken mehr zumuten

Ganz so weit kam es nicht. Um die Unstimmigkeiten zu übertünchen lächelten Merkel und Sarkozy am Sonntag vor der Presse. Der Franzose hatte von Merkel zuvor einen kleinen Teddy für seine vor wenigen Tagen geborene Tochter geschenkt bekommen. In seiner Erklärung betonte er die deutsch-französische Zusammenarbeit und ihre Bedeutung für Europa. Sie beteuern, dass sie "mit einer Stimme" sprechen, dass ihre Entschlossenheit nicht zu unterschätzen sei, dass es am Mittwoch Antworten geben wird. Doch aller zur Schau getragenen Indylle zum Trotz - Deutschland und Frankreich streiten weiter über den Befreiungsschlag für Griechenland.

Nach Ansicht der Bundesregierung müssen Athen insgesamt mindestens 50 bis 60 Prozent der Schulden erlassen werden, damit das Land wieder auf die Beine kommen kann. Private Gläubiger wie Banken und Versicherungen müssten dafür den Kopf hinhalten. Doch geht die Berliner Drohung, den Banken zur Not einen drastischen Schuldenschnitt von bis zu 60 Prozent aufzuzwingen, den Franzosen entschieden zu weit.

Der gemeinsame Tenor lautet nun auf Freiwlligkeit. "Wir müssen mit dem Privatsektor eine Lösung auf freiwilliger Basis finden", sagte Staatspräsident Nicolas Sarkozy in einer Pause der Gipfelsitzungen am Sonntagnachmittag in Brüssel.

Zielscheibe Berlusconi

Damit ist auch drei Tage vor Ablauf der bereits auf kommenden Mittwoch verschobenen Frist offen, ob der Durchbruch im Kampf gegen die Schuldenkrise endlich gelingen kann. Geschlossenheit demonstrierten Merkel und Sarkozy immerhin gegenüber ihrem italienischen Kollegen Silvio Berlusconi: Beide machte ihm in einem Dreiergipfel klar, dass er seine Hausaufgaben noch machen muss, damit die Instrumente zur Eindämmung der Schuldenkrise, von denen gerade Rom profitieren soll, am Mittwoch auch eingesetzt werden.

"Italien hat einen hohen Gesamtschuldenstand und der muss abgebaut werden, das ist die Erwartung", sagte sie. Sarkozy hob vielsagend hervor, dass dass andere bisherige Sorgenkind, Spanien, "nicht mehr in der ersten Linie" stehe. Auch EU-Ratspräsident Herman van Rompuy redete Berlusconi ins Gewissen, "seine versprochenen Reformen auch wirklich umzusetzen". Ob der italienische Regierungschef die Botschaft wirklich ernst genommen hat, blieb offen. Er reagierte zunächst gewohnt flapsig, er habe "in der Schule noch nie nachsitzen müssen".

Griechenland: Finanzlücke von 250 Milliarden Euro

Das Gesamtpaket soll auf dem zweiten Teil des Euro-Gipfels am Mittwochabend verabschiedet werden. Dazu gehört ein Hebel für den Euro-Rettungsfonds EFSF, gemeinsame Regeln zur Bankenrekapitalisierung und der Auftrag an Ratschef Van Rompuy, bis Dezember Möglichkeiten vorzulegen, die Eurozone mit "begrenzten Vertragsänderungen" krisenfest zu machen.

Die Notwendigkeit zu einem weitgehenden Schuldenschnitt für Griechenland war am Freitag endgültig klar geworden: Die Troika deckte in ihrem jüngsten Schuldenbericht eine Finanzlücke von 252 Milliarden Euro bis 2020 auf, mehr als doppelt so viel wie im Juli vermutet. Das würde einen Forderungsverzicht von 60 Prozent notwendig machen, um die Schulden bis 2020 auf 110 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung zu drücken.

Milliarden für die Banken

Die EU-Staaten wollen Diplomaten zufolge die 60 größten Banken in Europa dazu verpflichten, ihr Eigenkapital um gut 100 Milliarden Euro zu erhöhen, damit diese einen stärkeren Schuldenschnitt für Griechenland überstehen können. Die Banken wären zunächst aufgerufen, die Mittel selbst am Kapitalmarkt aufzunehmen. Staatliche Hilfe wäre erst die Alternative, wenn das nicht gelingt. Mitgliedsländer, die dazu nicht in der Lage sind, könnten Kredite beim Euro-Rettungsfonds EFSF anfordern. Die EU-Staaten diskutierten noch, ob jedes Land Garantien für die Banken in eigener Regie vergeben sollte oder ob es eine gemeinsame europäische Bürgschaft geben könnte.

Die internationalen Banken kündigten schon mal Widerstand an. Die Vertreter der Euro-Staaten und Geldhäuser seien "nicht einmal in der Nähe einer Einigung", sagte der Geschäftsführer des Internationalen Bankenverbandes (IIF), Charles Dallara, der Nachrichtenagentur AP.

Die deutschen Banken reagierten flexibler. Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, erklärte: "Die deutschen Banken sind gut kapitalisiert. Ein angemessener Schuldenschnitt in der Griechenland-Krise ist für sie verkraftbar."

EZB-Hebel endgültig vom Tisch

Merkel sagte, beim Hebel für den Rettungsschirm EFSF seien nur noch zwei Varianten im Spiel. Das von Frankreich angestrebte Anzapfen der Zentralbank gehöre nicht dazu. Eine Variante sieht nach Informationen der Nachrichtenagentur dapd vor, das Euro-Ausland anzupumpen. Staatsfonds aus Singapur, Norwegen oder Katar oder der Internationale Währungsfonds könnten eine neue Zweckgesellschaft einrichten, in die der EFSF Geld einzahlen würde, damit eventuelle Verluste abgedeckt würden. Die Zweckgesellschaft könnte dann bei Anleihe-Auktionen von Staaten mitmachen und so deren Zinsen dämpfen. Dies könnte die Brandmauer für Italien und Spanien beim Schuldenschnitt für Griechenland sein.

Variante zwei ist eine Versicherungslösung: Dabei würden die EFSF-Milliarden zur Absicherung neuer Staatsanleihen genutzt. Mit diesen Garantien der Europartner könnte ein Anleihenvolumen von mehr als einer Billion Euro "teilkaskoversichert" werden. Diplomaten zufolge könnten die beiden Modelle kombiniert werden. Allerdings muss der Deutsche Bundestag die Varianten erst billigen, bevor Merkel am Mittwoch zurück in Brüssel ihre Zustimmung geben kann.

(apd/RTR)
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