Rüge aus Brüssel droht Deutschland wehrt sich gegen Export-Schelte

Berlin · Die EU fordert von ihren Mitgliedern, das Verhältnis von Export zum Import nicht zu groß werden zu lassen. Die Kritik an Deutschland wächst. Im schlimmsten Fall drohen Strafen. Berlin sieht keinen Handlungsbedarf. Experten warnen indes schon länger.

Deutsche Top-Ökonomen
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Die Bundesregierung geht in die Offensive: "Ein Leistungsbilanzüberschuss alleine ist für Europa kein Grund zum Handeln", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.

Auslöser der Debatte war eine Studie des Ifo-Instituts, wonach der deutsche Exportüberschuss dieses Jahr mit 210 Milliarden Dollar (170 Milliarden Euro) der höchste der Welt sein werde. Das hatte die "Financial Times Deutschland" berichtet. Falls die Zahlen stimmen, droht Deutschland Ärger aus Brüssel.

Weder China und Japan noch die ölexportierenden Länder, die ebenfalls mehr Waren und Kapital exportieren als importieren, kämen da heran, hieß es in dem Bericht. Für China erwarten die Ökonomen demnach einen Wert von 203 Milliarden Dollar.

Die Europäische Union fordert von ihren Mitgliedsstaaten, das Verhältnis vom Export zum Import nicht zu groß werden zu lassen. Handelsbilanzüberschüsse, die 6,0 Prozent oder mehr des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachten, stellten eine Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität des Kontinents dar, heißt es.

Droht ein Mahnverfahren?

"Nach den jüngst veröffentlichten Handelszahlen dürfte der für die EU-Kommission kritische Wert in der deutschen Leistungsbilanz 2012 garantiert überschritten werden", sagte der Ifo-Außenhandelsexperte Steffen Elstner der "FTD". 2013 könnte die EU daher ein Mahnverfahren gegen Deutschland einleiten.

Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte, es sei zu früh, um über den nächsten Kommissionsbericht zu diskutieren. Dieser soll im November herauskommen. Sie verwies auf die letzten Prognosen der EU-Kommission, denen zufolge Deutschlands Überschuss nur 4,75 Prozent des BIPs ausmachen sollte.

Auch eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums verteidigte die Exportüberschüsse als Zeichen für die Stärke der deutschen Wirtschaft. "Wir begrüßen das", sagte sie in der Regierungspressekonferenz.

"Deutschland schießt sich ins eigene Bein"

Einige Ökonomen sehen extreme Handelsüberschüsse dagegen als Grund für Wirtschaftskrisen. Denn wenn ein Land mehr exportiert als importiert, muss ein anderes mehr importieren und sich so verschulden.

Der Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung UNCTAD, Heiner Flassbeck, kritisierte Deutschland in der "FTD": "Besonders tragisch ist, dass Berlin das noch immer als Erfolg feiert - dabei ist höchst ungewiss, ob das Ausland seine Schulden überhaupt zurückzahlen kann." Flassbeck fügte hinzu: "Deutschland schießt sich mit seinem Geschäftsmodell ins eigene Bein."

Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, sagte der Zeitung: "Das grundlegende Problem hat sich nicht geändert: Die deutsche Binnennachfrage ist viel zu schwach."

Regierungssprecher Seibert erklärte dagegen, das Problem seien nicht die Überschüsse Deutschlands, sondern die Defizite der anderen Länder. Außerdem rechne die Regierung nach dem Frühjahrsgutachten mit einem Anziehen der Binnennachfrage, was sich dämpfend auf die unausgeglichene Leistungsbilanz auswirke.

"Niemand wird gezwungen, deutsche Produkte zu kaufen"

Unterstützung bekam die Bundesregierung vom Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther. Gerade für eine alternde Gesellschaft sei ein hoher Leistungsbilanzüberschuss wichtig. Deutschland spare so Geld an, das künftigen Rentnern nützen werde, sagte Hüther.

Außerdem spreche der starke Export für das krisenfeste Angebot der deutschen Unternehmen und die Qualität der Produkte. Niemand werde gezwungen, diese zu kaufen.

Hüther wies daraufhin, dass die Krisenstaaten Südeuropas ihr Handelsbilanzdefizit verringert hätten. Daher könne man der deutschen Wirtschaft nicht vorwerfen, auf deren Kosten zu wachsen. Die Zuwächse erzielten die Unternehmen vielmehr in Ländern Ostasiens und in den USA.

Schließlich sei ein Leistungsbilanzdefizit nicht zwingend ein Ausdruck von Schwäche. Gerade junge, dynamische Gesellschaften zeichneten sich oft durch einen Importüberschuss aus.

(APD)
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