Der Euro-Streit der Ökonomen

Über Ursache und Lösung der Euro-Krise ist ein erbitterter Streit der ökonomischen Schulen entbrannt. Er verläuft entlang der Linien der Debatte der 60er und 70er Jahre. Die Keynesianer verlangen ein direktes Eingreifen in die Märkte, die Marktliberalen eine strikte Sparpolitik.

düsseldorf Die politische Kontroverse über den Euro lässt sich täglich verfolgen: Da verlangen Länder wie Italien oder Frankreich den großen Befreiungsschlag für den Euro, den massiven Ankauf von schwer gängigen Staatstiteln oder die Ausgabe von gemeinschaftlichen Anleihen der Europäischen Union. Das kontern Länder wie Deutschland und die Niederlande mit der Forderung nach einer schnellen Rückführung der Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite und einer defensiven Lohn- und Gehaltspolitik. Hinter diesen Ansätzen stecken nationale Interessen, aber auch unterschiedliche ökonomische Theorien. Besonders der Streit der wirtschaftswissenschaftlichen Schulen nimmt derzeit das Ausmaß eines Glaubenskrieges an. Mit großem Selbstbewusstsein und missionarischem Eifer setzen sich die einzelnen Vertreter für ihre Sicht der Dinge ein — und prognostizieren den Untergang, wenn man ihren Empfehlungen nicht folgt.

Schon einmal tobte eine Schlacht der Theorien über die richtige Wirtschaftspolitik. Das war in den 60er und 70er Jahren, als die Schulen der Keynesianer und Monetaristen zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen der Rolle der Geld- und Finanzpolitik sowie der Bekämpfung von Inflation und Arbeitslosigkeit gelangten. In den 80er Jahren setzte sich dann die monetaristische Schule von Nobelpreisträger Milton Friedman durch, die einen Rückzug des Staates und eine strenge, stabilitätsorientierte Geld- und Haushaltspolitik empfahl. Dieser Ansatz bildete auch das Fundament der europäischen Währungsunion.

In der globalen Banken- und Immobilienkrise brach dann erneut der Streit der Schulen aus. Und auch in der gegenwärtigen Euro-Krise geben das keynesianische Lager und die Vertreter des marktprozessorientierten Ansatzes höchst unterschiedliche Bewertungen und Lösungsvorschläge ab. Die Frontkämpfer sind im internationalen Kontext der US-Nobelpreisträger Paul Krugman auf Seiten der Keynesianer sowie der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Raghuram Rajan, auf seiten der Marktliberalen. In Deutschland stehen sich die Keynesianer Peter Bofinger (Sachverständigenrat) und Michael Burda (Humboldt-Universität Berlin) sowie der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, und der Hannoveraner Finanzwissenschaftler Stefan Homburg als liberale Ökonomen gegenüber.

Die moderne keynesianische Position sieht die Ursachen der Finanz- und Schuldenkrise vor allem in zwei Entwicklungen — dem unkontrollierten Einsatz von Finanzinnovation und neuen Bankinstrumenten und den großen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten. Weil Länder wie Deutschland zu viel exportierten und zu wenig nachfragten, entstünden gewaltige Überschüsse in sparsamen und Defizite in den ausgabefreudigen Ländern. Diese Überschüsse hätten Banken dazu verleitet, Hauskäufern, Unternehmen und Staaten zu billige Kredite anzubieten. In Folge hätten sich Haushalte und Länder überschuldet, bis in den Jahren 2008 bis 2010 die Blase geplatzt sei. Damit setzen die Keynesianer das Sparen auf die Anklagebank und fordern zusätzliche Nachfrageprogramme der Überschussländer, die durch eine lockere Geldpolitik ergänzt werden müsste.

Um eine Deflation als Folge der Schuldenkrise zu vermeiden, müssten die überschuldeten Euro-Länder großzügig Kredite aus den milliardenschweren Rettungsfonds erhalten. Außerdem sollte die Europäische Zentralbank mit großangelegten Aufkäufen von schlechten Staatspapieren einen Zusammenbruch der internationalen Zahlungsströme verhindern.

Im Grunde fordern Ökonomen wie Krugman oder Burda, den Währungsbrand mit Feuerschneisen zu bekämpfen. Daneben ist eine Konsolidierung der aus dem Ruder gelaufenen Staatshaushalte wünschenswert. Aber die wirkt eher mittelfristig, während kurzfristig das Währungschaos mit schwerwiegenden Folgen für die gesamte europäische Wirtschaft droht.

Die Vertreter der Marktprozesstheorie — im Deutschen wird darunter traditionell der ordnungspolitische Ansatz verstanden — halten nicht Marktversagen für die Ursache der Krise. Sie argumentieren, dass die verschuldeten Länder über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Dazu hätte allerdings auch die lockere Politik der amerikanischen und auch der europäischen Notenbank beigetragen. Die niedrigen Zinsen, auch bedingt durch die durch Deutschland dominierte Währungsunion, hätten die politischen Eliten der Länder dazu verführt, höhere Schulden aufzunehmen.

Zudem verwischt der Euro die Verantwortlichkeit für eine verfehlte Wirtschaftspolitik, weil es für ein einzelnes Land weder Abwertung noch nennenswert höhere Inflation gibt. Im Falle der Krise können aber die Länder hoffen, dass ihnen von den internationalen Institutionen und den starken Ländern der Europäischen Union geholfen wird. Denn ein harter Sanktionsmechanismus für Stabilitätssünder fehlt. Die Krise hat danach nur die Verletztlichkeit der Währungsunion offengelegt.

In ihrer Therapie unterscheiden sich die Ökonomen. So fordert Homburg, die Schuldnerstaaten insolvent gehen zu lassen und nur solche Staaten in der Währungsunion zu belassen, die eine ähnliche Stabilitätskultur und eine vergleichbare Produktivität der Faktoren aufwiesen. Sinn spricht sich für eine strikte Begrenzung der Rettungsfonds aus und schlägt das Ausscheiden von Ländern aus dem Euro vor, die es nicht schaffen, die Stabilitätsanforderungen zu erfüllen.

Politisch folgen Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, vor allem aber Bundesbankpräsident Jens Weidmann dem marktprozessorientierten Ansatz. Sie wollen Hilfen an strikte Bedingungen knüpfen und lehnen die Haftung für fremde Schulden — egal ob über Euro-Bonds oder die Zentralbank.

Eher keynesianisch inspiriert ist hingegen die Politik von IWF-Chefin Christine Lagarde, von EZB-Präsident Mario Draghi oder dem Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker aus Luxemburg. Sie fordern eine beherztere Brandbekämpfung mit Mitteln von Rettungsschirmen und der Notenbank. Die Kontroverse ist anders als in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts noch nicht entschieden. Das Überleben oder das Scheitern des Euro wird aber definitiv mit einer der Schulen verknüpft sein.

(RP/rm)
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