Nach der Defi-Implantation Was Kardiologen zu Eriksens Karriere-Ende in Italien sagen

Kopenhagen · Inter Mailand hat bereits Ersatz für den dänischen Fußballspieler besorgt. Der muss lernen, den Herzstillstand von Kopenhagen zu verarbeiten. In seiner Brust wacht jetzt sein eigener Defibrillator.

 Der dänische Fußballnationalspieler Christian Eriksen.

Der dänische Fußballnationalspieler Christian Eriksen.

Foto: dpa/Tim Goode

Es ist eine Entscheidung fürs Leben, doch zunächst eine Aufgabe für die Software. Wie muss der Kardiologe einen ICD, einen implantierbaren Defibrillator, programmieren, damit das Gerät zwischen einem sehr schnellen, doch gesunden Puls (etwa beim Sport) und einer lebensgefährlichen Herzrhythmusstörung unterscheidet? Im ungünstigen Fall „kommt es zu sehr schmerzhaften ,falschen‘ elektrischen Schockabgaben“, sagt Robert Larbig, Kardiologe an den Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach – und das wollen Ärzte vermeiden. Denn berechtigte und unvermeidliche Schockabgaben sind schon schmerzhaft und strapaziös genug.

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Christian Eriksen, dänischer Fußballnationalspieler, wird sich weniger mit Programmier-Feinheiten als mit Grundsätzlichem beschäftigen. Beim EM-Spiel gegen Finnland machte er eine Nahtod-Erfahrung, durch einen externen Defibrillator fand er zurück ins Leben, jetzt wurde ihm ein kleines Kästchen, der ICD, implantiert. Doch bei Inter Mailand darf er nicht mehr spielen; Italiens Sportkardiologen erlauben das nicht; es sei zu heikel. Ist es das? Christian Meyer vom Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf sagt: „Tatsächlich bedeutet in Italien ein ICD bei den meisten Sportarten in der Regel das Ende einer Sportlerkarriere, wie mir italienische Kollegen bestätigt haben. Andere Länder lassen hier mehr Raum für die individuelle Planung.“

Wie arbeitet ein ICD, wie differenziert er? Kardiologe Larbig erklärt das: „Bei lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen erfolgen entweder schnelle Stimulationen oder eine lebensrettende Schockabgabe.“ Jene Stimulationen nennen Herzspezialisten das „anti-tachykarde Pacing“. Dabei gibt das Gerät Schrittmacher-Impulse ab, die schneller als die Rhythmusstörung sind, um sie sozusagen zu „überfahren“ und damit zu beenden.

Klaus Kattenbeck vom St. Bernhard-Hospital in Kamp-Lintfort hat Verständnis für die rigorose italienische Haltung, auch zum Wohle der Patienten: „Ob es sinnvoll ist, nach einem überlebten plötzlichen Herztod weiter Spitzensport zu betreiben, wage ich zu bezweifeln. Hier sollte mit Vernunft an Körper und Seele gedacht werden, abseits von Karriere, Reichtum und Ruhm.“ Auch Meyer findet es wichtig, „über das Akutereignis hinaus die möglichen Auswirkungen für Eriksen abzuwägen“. Es könne „zu einer enormen psychischen Belastung bis zur Traumatisierung kommen“. Defi-Entladungen sollten weitgehend vermieden werden, „weil sie“, so Kattenbeck, „einen negativen Einfluss auf die Lebenserwartung haben“. Das könne man mit einer Vollkasko-Versicherung vergleichen: „Im Schadensfall springt sie ein und übernimmt alle Kosten, doch der Versicherungsnehmer wird höhergestuft.“ Kattenbeck sieht zudem die Gefahr, dass „ein heftiger Stoß oder Schlag das High-Tech-Gerät oder die Elektrode beschädigen könnte“.

Bis heute kennt niemand Eriksens Grunderkrankung. Für jede ist eine individuelle Antwort erforderlich. Christian Meyer nennt ein Beispiel: „Bei Menschen mit Long-QT-Syndrom zum Beispiel, einer sogenannten Ionenkanalerkrankung mit gefährlicher Verlängerung einer Teilstrecke im EKG, werden häufig Herzrhythmusstörungen durch Belastungen ausgelöst. Ihnen wird nach einem überlebten Herzstillstand Leistungssport nicht empfohlen. Hier kann der Sport selbst zur akuten Gefahr für ein erneutes Ereignis werden.“

Und wie verhalten sich Menschen jenseits des Leistungssports? Michael Haude vom Rheinland-Klinikum in Neuss rät: „Grundsätzlich können ICD-Träger Sport treiben. Ein früheres Verbot lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.“ Allerdings bedürfe es einer individuellen Betrachtung: „Leistungssportarten mit großer körperlicher Anstrengung stellen ein erhöhtes Risiko für Schockabgaben da.“ Haude: „Wenn es sich um Individualsportarten handelt, kann ein ICD akzeptiert werden. Aber bei einer Sportart, bei der eine Schockabgabe zu einer Fremdgefährdung führen kann, sollte große Zurückhaltung gelten.“ Auch Rolf Michael Klein vom Augusta-Krankenhaus in Düsseldorf-Rath begrüßt es, wenn „ICD-Patienten sportliche Betätigung planen“. Denn: „Auch herzkranke Menschen profitieren von regelmäßigen Trainingseinheiten.“

Klein erinnert daran, dass es „im Profi-Fußball Beispiele von Spielern gibt, die mit einem implantierten Defibrillator aktiv sind und auf dem Platz vom ICD gerettet wurden“. Tatsächlich sind die Regeln von Land zu Land unterschiedlich. Daley Blind, der für Ajax Amsterdam und für die Niederlande bei der EM spielt, wurde nach einer Herzmuskelentzündung ebenfalls ein ICD in die Brust eingepflanzt; er besitzt dort eine Spielberechtigung und wurde bereits live geschockt, so im vergangenen Jahr bei einem Testspiel gegen Hertha BSC.

Für Eriksen haben die Italiener bereits Ersatz gefunden. Sicher öffnen sich ihm neue Optionen, vielleicht in anderen Ligen. Oder er wird Trainer. Lebens- und Überlebenserfahrung hat er reichlich. Wer dem Tod von der Schippe gesprungen ist, den schockt nichts mehr – außer der Defi in der eigenen Brust.

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