WM-Tagebuch Mexikanische Party in Moskau

Moskau · Robert Peters berichtet für die RP aus Russland von der WM. In seinem Tagebuch schreibt er über seine Erlebnisse abseits des Feldes. Zum Beispiel über aufgeschlossene mexikanische Fans, die in einer Moskauer Kneipe eine einzige lautstarke Party feiern.

Fans aus Mexiko feiern in der Nähe des Roten Platzes.

Fans aus Mexiko feiern in der Nähe des Roten Platzes.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Alex ist vielleicht 1,60 Meter groß, trägt ein Trikot der mexikanischen Nationalmannschaft und in jeder Hand ein Glas Bier. Alex hat gute Laune, und er stellt sich jedem vor. "I'm Alex", sagt er, setzt ein Bier ab, gibt die Hand und strahlt. In kürzester Zeit hat er viele neue Freunde gewonnen. Und mir schwärmt er von Deutschland vor. "2006", sagt Alex, "war ich überall, Berlin, Leipzig, Hamburg, München." Er sagt "Munnschen". Das fand er großartig. Und am besten war offenbar "das Hofbrauhaus". Denn dort haben sie ihn und seine mexikanischen Freunde vor die Tür gesetzt. "Wir waren zu laut", erklärt Alex, und er kann zwei Minuten nichts mehr sagen, weil er so lachen muss.

 Robert Peters berichtet für die RP aus Russland von der WM.

Robert Peters berichtet für die RP aus Russland von der WM.

Foto: Peters

In der Moskauer Hotelbar denkt niemand daran, Alex und seine Freunde vor die Tür zu setzen – obwohl sie laut sind. Sie sind ein paar Stunden lang die große Attraktion in diesem Viertel der prachtvollen Plattenbauten. Sie haben eine Mariachi-Kapelle dabei, die problemlos ganze Stadtteile unterhalten könnte. Und wenn sie nicht gerade alle mitsingen, dann ziehen sie in einer Polonaise aus Nationaltrikots und Sombreros durch die Kneipe. Ich bin völlig hingerissen, mitteleuropäisch hingerissen. Das heißt: Ich freue mich eher innerlich. Aber ich denke auch: So müssen Weltmeisterschaften sein, eine einzige lautstarke Party mit mehrstimmigem Gesang.

Den bekommen Alex und seine Freunde auf jeden Fall hin. Vielleicht hat das was mit den Genen zu tun. Ich bin ein bisschen neidisch. Das zeige ich allerdings nicht. Dafür versuche ich, einem der vielen Freunde von Alex zu erklären, dass ich die Mexikaner für die besten Fans halte. Er revanchiert sich mit einem Kompliment für die WM 2006. "Ihr habt ein wunderbares Land", sagt er. Da muss ja was dran sein. Ich nehme mir vor, nach der Rückkehr aus Russland mal wieder ein wenig genauer hinzuschauen.

Derweil haben sich Alex und seine Freunde mit einer Gruppe südkoreanischer Fußballfans zusammengetan, mit denen sie ein wildes Ballett auf die Tanzfläche legen, dann und wann unterbrochen von lautstarken Lobeshymnen auf den Spieler Heung Min Son. Ich habe den Verdacht, dass die Mexikaner den Namen vom roten Trikot eines Koreaners abgelesen haben. Möglicherweise aber sind sie nur besonders gut informiert.

Ich kümmere mich nun um meine eigene Weiterbildung. Mein kleines elektronisches Nachschlagewerk, das ich gelegentlich sogar zum Telefonieren nutze, verrät mir die notwendigen Hintergrundinformationen zum Mariachi-Wesen. Ich erfahre, dass die Unesco diesen Musikstil vor sieben Jahren auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit gesetzt hat. Das ist allerhand und hochverdient zugleich. Ich lerne, dass eine Mariachi-Kapelle bis zu 20 Musiker umfasst. Sänger natürlich, Trompeter, Gitarristen, Menschen, die das Gitarrón, die Vihuela und Geigen spielen. Manchmal kommt sogar eine Harfe zum Einsatz. In der Moskauer Hotelbar wird auf die Harfe großmütig verzichtet. Dafür gibt es einen großen Chor von Freiwilligen, der den Gesang des Mariachi-Ensembles aufnimmt. Laut, wie Alex das versprochen hat. Und lachend. Zwischendurch gibt es viel Bier, was die Russen auf der anderen Seite des Tresens sehr freut.

Ich summe ein bisschen mit, schön leise, das fällt aber bei dem Krach sowieso nicht auf. Ist wohl auch besser so. Alex hat sich inzwischen bei einer Gruppe aus Australien vorgestellt, die gelbe Kunstpelzmützen trägt, was wiederum die Mexikaner unter ihren Sombreros ziemlich lustig finden. Sie rufen "Mexiko, Mexiko!", und dann singen sie wieder.

Ich finde, nicht nur Mariachi-Musik, sondern das ganze mexikanische Fanwesen muss dringend ins immaterielle Kulturerbe der Menschheit aufgenommen werden. Alex ist das wahrscheinlich egal. Er singt und lacht. Mehr braucht er nicht.

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