Berlin Stolpert Niebel über einen Orient-Teppich?

Berlin · Der robust auftretende Entwicklungsminister wird von der Kanzlerin für ein "Versäumnis" gerügt: Er hatte sich in Afghanistan einen Teppich gekauft und ließ ihn sich später vom Bundesnachrichtendienst nach Deutschland fliegen, "vergaß" dann aber, das Stück zu verzollen. Die Opposition wirft dem Minister Förderung von Kinderarbeit vor.

Wenn er etwas unter den Teppich kehren wollte, so hätte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) nun neun Quadratmeter mehr Platz dafür. So groß ist sein neuer Orientteppich, den er zum Schnäppchenpreis von 1000 Euro von einem fliegenden Händler in der deutschen Botschaft in Kabul gekauft hat. Niebels Problem: Er hatte bei seinem Ministerbesuch im März nur einen Linienflug für den Rückweg gebucht und konnte das 30 Kilo schwere Stück daher nicht mitnehmen. Mitte Mai hat es die Botschaft dem Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, in Afghanistan mit in den Jet gepackt, der es dann Niebels Fahrer auf dem Flugfeld in Berlin übergab. Erst als Journalisten jetzt nachfragten, fiel Niebel auf, dass er "vergessen" hatte, das gute Stück auch zu verzollen.

Das sei ein "Versäumnis", das so schnell und so vollständig wie möglich nachgeholt werden müsse, ließ die Kanzlerin kommentieren. Und damit auch jeder den Tadel versteht, erläuterte Regierungssprecher Steffen Seibert die Formulierung: "Das Wort Versäumnis beinhaltet ja schon, dass eine andere Form der Einfuhr noch korrekter gewesen wäre und deswegen auch vorzuziehen gewesen wäre."

SPD-Entwicklungsspezialist Sascha Raabe schäumte geradezu vor Wut über das Verhalten Niebels, mit dem er seit Jahren im Clinch liegt: "Kein deutscher Minister hat sein Amt jemals so schamlos missbraucht wie Niebel", erklärte Raabe. "Erst versorgt er reihenweise Parteifreunde mit hochlukrativen öffentlichen Posten, dann stellt er den Personalrat kalt, und nun lässt er auf Staatskosten Luxusteppiche für seine Gemächer einfliegen", kritisierte er. SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann tat so, als wundere ihn das nicht einmal: "Die Affäre um den Teppich von Dirk Niebel ist wenig überraschend – Steuerhinterziehung hat in der FDP Tradition."

Raabe sorgt sich angesichts von Niebels "schamloser Selbstbedienungsmentalität" um die Reputation der deutschen Entwicklungspolitik. In Zukunft werde es kaum noch möglich sein, von den Partnerländern gute Regierungsführung einzufordern. "Solche Forderungen entbehren jeder Grundlage, wenn der in Deutschland zuständige Minister sich selbst aufführt wie ein Autokrat und alle Regeln des politischen Anstands über Bord wirft", schimpft Raabe.

Ähnlich urteilt die Grünen-Entwicklungsexpertin Ute Koczy. Gerade einem Minister, der anderen Menschen gegenüber derart "großspurig" auftrete, dürfe so etwas nicht passieren, sagt sie unserer Zeitung. FDP-Entwicklungspolitikerin Christiane Ratjen-Damerau bezweifelt, ob alles mit Niebels Wissen abgelaufen ist. "Das ist keine Affäre", sagt die Liberale. Niebel sei ein Politprofi, der von der Opposition seit Langem "gejagt" werde, der sei "gar nicht der Typ", so etwas "vorsätzlich am Zoll vorbei" zu machen. Nach Schätzungen des Finanzministeriums hat Niebel rund 200 Euro an den Zoll nachzuzahlen.

Linken-Entwicklungsexpertin Heike Hänsel sieht gleich drei Probleme: den Teppich auf diesem Wege nach Deutschland kommen zu lassen, erst auf Medien-Nachfragen das Versäumnis heilen zu wollen – und vor allem, den Teppich in Afghanistan überhaupt unter diesen Bedingungen gekauft zu haben. Auch Niebel müsse wissen, wie in dieser Region produziert werde: "Ein solch riesengroßer Teppich für 1000 Euro – da liegt es nahe, dass er durch Kinderarbeit entstanden ist."

Niebel selbst "bedauerte", dass der Antrag auf Verzollung des Teppichs "erst mit Verzögerung gestellt" worden sei. Er habe vorgehabt, den Teppich bei seinem nächsten Afghanistan-Aufenthalt als "persönliches Gepäck" mitzunehmen. "Das hätte ebenso keine Kosten verursacht wie der jetzige Transportweg, über den ich mich gefreut hatte, weil ich auf diese Art nicht so lange auf den Teppich habe warten müssen", fügte der Minister hinzu. Der "Bild"-Zeitung sagte er: "Auf meine Bitte hin hat mir ein Mitarbeiter der Botschaft einen vertrauenswürdigen Händler empfohlen, bei dem ich davon ausgehen konnte, dass dieser Händler alle Sozial- und Umweltstandards einhält." Er habe den Händler "aus Sicherheitsgründen" in der Botschaft getroffen.

Die Vermischung von staatlichem Handeln und privatem Interesse ist auch Niebel klar. Dass der Präsident des Bundesnachrichtendienstes am Ende seines Afghanistan-Besuches Niebels Teppich mit in seinen Jet packte, sei keine Amtshilfe, sondern ein "persönlicher Gefallen" gewesen, betonte Niebel ausdrücklich und wiederholt. Dagegen war aus BND-Kreisen zu erfahren, dass der Geheimdienstchef selbstverständlich davon ausgegangen sei, bei dem Teppich handele es sich um ein offizielles Geschenk Afghanistans für die deutsche Regierung, das zur Einsparung von Steuermitteln und damit eindeutig als Amtshilfe mit dem BND-Flieger transportiert werde.

In Regierungskreisen herrschte die Einschätzung vor, dass Niebel die Affäre durchstehen könne, wenn nicht mehr viel nachkomme. Aber ausgestanden ist die Sache augenscheinlich noch nicht.

(RP)
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