Kommentar Spitzenposten für Wahlverlierer

War da was? Über Wochen hat man uns eingetrichtert, wir dürften bei der Europawahl sozusagen als Bonus auch über die Person des künftigen EU-Kommissionspräsidenten mitentscheiden. Der Sieger bei der Wahl wird es - so lautete die Botschaft. Und keiner formulierte diesen Automatismus so lauthals wie Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident und gemeinsamer Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten. Dummerweise landete Schulz am Ende nur auf Platz zwei hinter dem Konservativen Jean-Claude Juncker. Weil aber Schulz ein ebenso guter Wahlverlierer ist wie weiland Gerhard Schröder, der seine Niederlage gegen Angela Merkel nicht eingestehen wollte, tat er erst einmal so, als habe das gar nichts zu bedeuten. Energisch diktierte er Journalisten in die Blöcke, welche Politik er als künftiger Kommissi-onschef verfolgen wolle. Den Konjunktiv vergaß er dabei manchmal.

24 Stunden später ließ Schulz dann doch Juncker den Vortritt - angesichts der Stimmungslage im Europaparlament auch nur logisch, wo eine breite Mehrheit die Kandidatur des Wahlsiegers für den Kommissionsposten unterstützen will. Zugleich griff Schulz jedoch nach dem Vorsitz der sozialdemokratischen Fraktion. Gewiss nicht, um auf diesem Posten zu bleiben. Warum also? Um bei den Verhandlungen über eine Mehrheit für Juncker möglichst viel linke Politik durchzusetzen, so die offizielle Lesart. Um für sich selbst einen dicken Trostpreis zu erfeilschen - das ist der zweite Teil der Wahrheit. Wenn schon nicht Chef der EU-Kommission, so will Schulz wenigstens Kommissar werden. Lieber noch Hoher Beauftragter für Außenpolitik. Hauptsache: irgendwas Wichtiges.

Wohlgemerkt: Das Streben nach hohen politischen Ämtern ist nicht an sich verwerflich. Aber Schulz sollte sich klarmachen, was für ein Bild das abgibt, wenn Wahlverlierer so ostentativ mit Spitzenposten belohnt werden müssen.

(RP)
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