Schwerpunkt Koalitionskrise Seehofers Klartext

CSU-Chef Horst Seehofer hat mit seinem Wutausbruch in einem Fernseh-Interview den wunden Punkt der Regierungskoalition getroffen. In der Sache widersprach ihm kaum einer.

Berlin CSU-Chef Horst Seehofer kann äußerst unbekümmert wirken und dabei politische Erdbeben auslösen. Der Montagabend war so ein Moment: Im Gespräch nach einem Interview im "heute-journal" zieht er vom Leder über die Koalition auf Bundesebene, die Schwesterpartei CDU und über den NRW-Wahlverlierer Norbert Röttgen. "Ich habe ihm gesagt, das ist nicht Ihre Privatentscheidung, ob Sie nach NRW gehen oder nicht. Das trifft die ganze Union. Wenn Sie das nicht korrigieren, dann wird es uns hart treffen, und genauso ist es gekommen", poltert Seehofer. "Wie ein Eisbrecher in der Sonne" seien die Wahlchancen der Union geschmolzen, setzt er nach und gibt dann alles, was er sich von der Seele geredet hatte, zur Sendung frei. "Machen Sie eine Sondersendung daraus", rät er schalkhaft dem verblüfften Moderator Claus Kleber.

Derart ehrliche Momente gibt es in der Politik selten. Normalerweise wird jeder Satz, den ein Politiker öffentlich kundtut, vorbereitet, abgestimmt, autorisiert und am liebsten noch von Pressesprechern glattgebügelt. Genau darauf hatte Kleber nach dem Ausbruch Seehofers auch verwiesen: Die Nach- und Hintergrundgespräche mit Politikern sind meist interessanter und erkenntnisreicher als das, was offiziell gesagt wird.

In der Sache widersprach Seehofer anderntags kaum einer. In CDU und FDP empörten sich nur einige über den Tabubruch, dass da einer Klartext geredet hat. "Ich wünsche Seehofer, dass er in einer Niederlage nie so von anderen Landesverbänden behandelt wird, wie er im Moment die CDU behandelt", sagte NRW-Vize-CDU-Chef Armin Laschet.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Peter Altmaier (CDU), nahm den Wutausbruch des CSU-Chefs hingegen sportlich und wertete ihn als "Beitrag zur Transparenz". Er forderte seine Partei auf, die offenen Worte auszuhalten. Die für ihre gemäßigte Tonart bekannte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt stellte sich hinter ihren Parteivorsitzenden: "Horst Seehofer hat vollkommen recht", sagte Hasselfeldt unserer Zeitung. Auch sie rief die Koalition zur Ordnung. Die Koalition müsse "den Leuten jetzt deutlicher sagen, dass wir auch gut sind für die Zukunft unseres Landes." Sie betonte: "Jetzt müssen wir das tun, wofür uns die Leute gewählt haben — den Weg in die Zukunft gestalten, sprich: konzentriert arbeiten."

Zwei Umstände sorgten gestern dafür, dass sich Seehofers Unbeherrschtheit am Ende nicht gegen ihn drehte: Erstens hat Röttgen es versäumt, sich ausreichend politische Verbündete zu suchen, so dass ihn niemand ernsthaft in Schutz nimmt. In Berlin machte sich sogar klammheimliche Schadenfreude über den Absturz des smarten Karrieristen breit. Womit das Zweitens anzufügen wäre: Die Koalition ist tatsächlich in einem Zustand, der von Destruktivität und mangelnder Bereitschaft zur Zusammenarbeit geprägt ist.

Seehofer darf man sich nun dennoch nicht als selbstlosen Helden vorstellen, der seinen Ruf aufs Spiel setzt, um die Koalition zu retten. Vielmehr gehört es bei ihm zur politischen Folklore, dann und wann die gesamte Berliner Regierungsmannschaft in den Senkel zu stellen. Erinnert sei an sein Neujahrsinterview in diesem Jahr, in dem er die Rente ab 67 Jahre infrage stellte, oder auch an seine ruppige Absage an die Steuersenkungspläne der Koalitionspartner, nachdem er monatelang einer Steuersenkung das Wort geredet hatte.

Der bayerische Ministerpräsident hat die nächsten Landtagswahlen vor Augen. Die Abstimmung wird zeitgleich oder kurz vor der Bundestagswahl 2013 stattfinden. Die CSU fürchtet, sie könne in Bayern einen Denkzettel für das schlechte Bild der Koalition im Bund erhalten. Zumal die CSU mit dem Münchner Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidaten, Christian Ude, einen ernstzunehmenden Gegner hat. Das ist neu in Bayern.

(RP/jh-)
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