Analyse Ronald Pofalla: Endlich raus aus dem Kanzleramt

Zehn Jahre war Ronald Pofalla der "Merkel-Vertraute". Dann entschied er sich für den Ausstieg. Warum?

 Warum entschied sich Ronald Pofalla für den Ausstieg?

Warum entschied sich Ronald Pofalla für den Ausstieg?

Foto: dpa, Kay Nietfeld

Es ist Freitag, der 13. Dezember. Ronald Pofalla sitzt im Büro der Bundeskanzlerin und erklärt ihr seinen Rücktritt. Er bleibe dabei, sagt er. "Ich gehe." Raus aus der Politik. Eine Familie gründen. Berufliches Neuland. Seine gescheiterten Ehen führt der Kanzleramtschef an. 2010 hatte sich Pofallas zweite Frau von ihm getrennt. Sie sei es leid gewesen, alleine in der Wohnung auf den viel beschäftigten CDU-Politiker zu warten, heißt es. Nicht noch mal, ist nun die Botschaft an Angela Merkel. Eine Umarmung. Beide haben Tränen in den Augen.

Kündigung im Kanzleramt. Ein freiwilliger Rückzug von der Macht. Ausgerechnet Ronald Pofalla, der Mann, der seit 2005 so eng mit der CDU-Chefin und Kanzlerin arbeitete wie kein anderer Konservativer. Er war Merkels Vizechef in der Unions-Bundestagsfraktion, er war ihr Generalsekretär, ab 2009 ihr Kanzleramtschef. Chefberater und oberster Koordinator der Bundesregierung. Merkel vertraute ihm. Keine Entscheidung ging an Pofallas Schreibtisch vorbei. Die Loyalität Pofallas zu "seiner" Kanzlerin prägte so sehr das öffentliche Bild des Juristen, dass die berufliche Nähe Teil des Rufnamens wurde. "Merkel-Vertrauter" wird er genannt. Sie duzen sich, abends trinken sie ein Glas Barolo zusammen.

Kein Wunder also, dass die Kanzlerin Pofalla nicht glauben will, als er ihr zum ersten Mal am Sonntag nach der Bundestagswahl von seinem Rückzugs-Plan erzählt. Dass ein Vollblut-Politiker wie er hinschmeißen könnte, erschien selbst der stets alle Eventualitäten einkalkulierenden Merkel unrealistisch. Sie übergibt Pofalla die Steuerungsgruppe für die Koalitionsverhandlungen und vertagt das Gespräch. Unverständnis schwingt mit. In einer späteren Unterhaltung hält sie ihm vor, dass auch sie "Entbehrungen" im Privatleben auf sich nehmen müsse. "Stell dich nicht so an", so könnte man dies übersetzen. Doch Pofalla bleibt stur.

Warum? Um nicht die Partnerschaft mit seiner Lebensgefährtin Nina Hebisch, eine Anwältin aus Dinslaken, zu gefährden. Wohl auch. Ein Argument dürfte aber gewesen sein, dass Angela Merkel just an dem Tag vor dem 13. Dezember Ursula von der Leyen das Verteidigungsministerium und Thomas de Maizière das Innenressort zugesichert hatte. Das Innenressort, so wird es in der CDU berichtet, hätte auch Pofalla interessiert. Zu spät.

Die Kommunikation in eigener Sache verläuft nicht wie geplant. In Pofallas CDU-Kreisvorstand in Kleve, der an jenem Freitag zum Weihnachtsessen geladen hatte, erfahren die Parteifreunde abends aus den Medien vom Rückzug ihres Ehrenvorsitzenden. Der kurz zuvor anwesende Pofalla sagte kein Wort. Er hatte es der Kanzlerin versprochen, doch die Eilmeldungen torpedierten sämtliche Kommunikationspläne des Kanzleramts. Als dann noch bekannt wird, dass Pofalla zur Deutschen Bahn wechseln soll, wird aus Irritation Empörung. Ausgerechnet der Staatskonzern? Das riecht nach Kungelei. Der Bonner SPD-Politiker Ulrich Kelber spricht in der folgenden Debatte von "Käuflichkeit". Grüne und Linke protestieren gegen Pofallas Posten.

Der Merkel-Mann ist - wie während der NSA-Debatte, die Pofalla voreilig für beendet erklärte - Zielscheibe der Öffentlichkeit. Dabei hatte Pofalla gar keinen Geheimplan für den Seitenwechsel. Erst Mitte November, also zwei Monate nach der Bundestagswahl, spricht er mit Bahn-Chef Rüdiger Grube über den Posten eines Politik-Koordinators. Allerdings anders als öffentlich dargestellt. Im Bahn-Konzern wird erzählt, Grube habe einen Tipp für den Posten erbeten. Pofalla fand den Job dann selbst gut. Er wollte ja aussteigen. Und dass er als Generalbevollmächtigter oder Vorstand der Deutschen Bahn immer noch mehr freie Zeit haben würde als in dem Rund-um-die-Uhr-Job im Kanzleramt, räumen selbst Bahn-Vorstände ein. Pofalla und Grube einigen sich aber darauf, dass der Wechsel erst 2015 erfolgen soll.

Sein Bundestagsmandat wird Pofalla nun Ende des Jahres abgeben. Der Kreis Kleve wäre dann erstmals seit 1949 ohne eigenen Vertreter im Parlament. Einfacher wird es am nördlichen Niederrhein für Pofalla nicht. Pofallas Heimathaus steht dort, sein Vater lebt in einem Altersheim. Das Tischtuch zu den einstigen Parteifreunden ist kräftig angenagt. Im zurückliegenden Kommunalwahlkampf verzichtete die örtliche CDU auf Termine mit dem Mann, der in vielen Jahren als Abgeordneter Millionen und Angela Merkel in die Provinz lockte.

Je höher Pofalla stieg, desto sichtbarer ist das Dilemma dieses Politikers geworden: er rackert für die Partei, beliebt werden andere. Pofallas Popularität entwickelte sich umgekehrt proportional zu der seiner Chefin. Mit dem inhaltsleeren Wohlfühl- Wahlkampf bringt er als Generalsekretär Schwarz-Gelb 2009 an die Macht. Angela Merkel hält dies bis heute für eine unterschätzte Leistung. Andere warfen Pofalla einen demokratieschädigenden Wahlkampf vor. Der schwarz-gelbe Stolperstart wurde dem Kanzleramtschef angelastet. Als stiller Koordinator der Regierungsarbeit eignete sich der selbstbewusste CDU-Mann in der Tat nur bedingt. Pofalla zofft sich öffentlich mit Intimfeind Norbert Röttgen über die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und legt sich mit dem damaligen Liebling Karl-Theodor zu Guttenberg an.

Früh sagt Pofalla dessen Sturz voraus. Und behält Recht. Populärer wird er nicht. Dass der "Chef BK", wie der Kanzleramtschef formal heißt, hinter den Kulissen gegen Eitelkeiten, Eigeninteressen und eine rot-grüne Blockademehrheit Dutzende Gesetze durchbringt - Energiewende, Wehrpflicht, Sparpakete, kommt ihm nicht zugute. Wenn es gut läuft, war es Merkel. Wenn nicht, ist Pofalla schuld. Pofalla ist auch Merkels Sündenbock. In der Euro-Krise ist er rund um die Uhr gefordert. An einem Samstag fliegt Pofalla in sieben EU-Hauptstädte und verhandelt in den Flughafen-Terminals mit den Amtskollegen ein Rettungspaket. Als er nachts um 1 Uhr wieder in Berlin landet, bittet Merkel ihn spontan zum Briefing. Im Jahr 2013 hat Pofalla bis zur Bundestagswahl nur einen einzigen freien Tag: Ostersonntag.

Vater Fabrikarbeiter, Mutter Putzfrau - Pofalla hat sich über den zweiten Bildungsweg nach oben gekämpft. Mittlere Reife, Fachschule für Sozialpädagogik, Jura-Studium. Dass er oft unterschätzt wird, spornt ihn an. Mit 19 Jahren ist er Fraktionschef im Rat seines Geburtsortes Weeze. Er gewinnt einflussreiche Freunde. Die Karriere verläuft steil. Sein Selbstbewusstsein folgt dem Trend, ein aufbrausendes Naturell hat er sowieso. 2011 blafft er seinen Parteikollegen Wolfgang Bosbach an, weil der ihm zu Merkel-kritisch ist: "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen."

Dabei kann der 55-Jährige anders. Abseits der Politik spricht er reflektiert über die Eitelkeiten des Betriebs. Wenig bekannt ist Pofallas Engagement für die Opposition in Weißrussland, wo sein Vater als Kriegsgefangener "menschlich anständig" (Pofalla) behandelt wurde. Seit Kurzem engagiert er sich für die Berliner Obdachlosen-Initiative Straßenkinder. Mit dem Rauchen, das er im Kanzleramt 2009 wieder begonnen hatte, will er aufhören.

Und irgendwann seine Erlebnisse aufschreiben. Man wird wohl noch von Ronald Pofalla hören. Mag sein, dass man ihn dann besser versteht.

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