Pakistan soll bin Laden gedeckt haben

Es kriselt im Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Pakistan – das Regime in Islamabad bleibt die Antwort schuldig, wie Osama bin Laden offenbar jahrelang direkt vor der Nase der pakistanischen Militärs in Abbottabad leben konnte. Eine offene Feindschaft aber können sich Washington und Islamabad gar nicht leisten: Zu viel steht auf dem Spiel.

Neu-Delhi/Washington Über Jahre hatten sie Stein und Bein geschworen in Pakistan, dass sich Osama bin Laden nicht im Land aufhalte. Nun stehen das mächtige Militär und der kaum minder mächtige Geheimdienst ISI blamiert da: Der meistgesuchte Mann der Welt weilte nicht nur auf ihrem Boden, er hauste offenbar mit seiner Großfamilie über Monate, vielleicht Jahre direkt vor ihrer Nase, im Ausflugsort Abbottabad. Auch zwei Tage nach bin Ladens Tod herrschte in Pakistan peinliches Schweigen. Das Land scheint seinem Ruf, eine Heimstätte des Terrors zu sein, erneut alle Ehre zu machen.

Der Westen erwartet Antworten, allen voran die USA unter Präsident Barack Obama. "Ich denke, die pakistanische Armee hat eine Menge Fragen zu beantworten", polterte der demokratische US-Senator Carl Levin, der den Streitkräfte-Ausschuss leitet. Dass bin Laden so lange in unmittelbarer Nachbarschaft einer Militärakademie leben konnte, dass die Villa in Abbottabad offenbar "speziell für ihn" gebaut wurde: Levin lässt es an den Beteuerungen aus Islamabad zweifeln, wonach man selber überrascht sei.

John Brennan, Obamas Anti-Terror-Berater, kündigte intensive Nachforschungen an: "Man kann sich nicht vorstellen, dass bin Laden in Pakistan kein Unterstützungssystem hatte, das es ihm erlaubte, sich über Jahre dort aufzuhalten." Bezeichnend ist auch, wie viel Wert das Pentagon darauf legt, dass die Pakistaner von der Nacht-und-Nebel-Aktion nichts wussten und schon deshalb nicht informiert werden sollten, damit sie nicht störend eingreifen konnten.

Es kriselt im Verhältnis zu einem Land, das für Washington lange unverzichtbarer Partner war, besonders in den 80er Jahren, als es galt, den afghanischen Mudschaheddin im Kampf gegen die sowjetische Besatzungsmacht eine Nachschubbasis zu sichern. Steve Coll, Direktor der Denkfabrik New America Foundation und Autor einer Studie über bin Laden, unterstellt Pakistan ein doppeltes Spiel – ein Taktieren mit gewaltbereiten islamistischen Gruppen, die als Hilfstruppen gegen den Nachbarn und Erzfeind Indien nützlich sein könnten; einen heimlichen Pakt mit den Taliban im ebenfalls benachbarten Afghanistan. "Pakistan kann die Frankenstein-Monster, die es über 15 Jahre erschuf, nicht mehr kontrollieren", glaubt Coll. Die Toleranz gegenüber Glaubensfanatikern sei zutiefst irritierend.

Andererseits sieht der Experte Amerika und die islamische Atommacht wie siamesische Zwillinge miteinander verwachsen. "Weder die USA noch Pakistan können sich offene Feindschaft leisten. Dafür steht zu viel auf dem Spiel." Es war der pakistanische Ex-Präsident Pervez Musharraf, der es den Vereinigten Staaten nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erlaubte, Stützpunkte seines Landes zu nutzen und Jagd auf untergetauchte Mitglieder al Qaidas zu machen. Im Gegenzug drängte George W. Bush den General nicht weiter, den afghanischen Taliban, die nach dem Machtverlust in Kabul über die Grenze geflohen waren, die Unterstützung zu entziehen.

Das Tauschgeschäft stellt Bushs Nachfolger heute vor massive Probleme. Kaum im Amt, versuchte Obama einen neuen Kurs einzuschlagen. Unter der Ägide des erfahrenen Diplomaten Richard Holbrooke, den er zum Sonderbeauftragten für Afghanistan/Pakistan ernannte, sollten sich die Gewichte verschieben. Die Zusammenarbeit sollte auf einem stabileren, zivileren Fundament ruhen, die militärische Kooperation nicht mehr im Vordergrund stehen. Die Senatoren John Kerry und Richard Lugar, ein Demokrat und ein Republikaner, boxten trotz leerer Kassen ein Gesetz durch den Kongress, wonach sich die Entwicklungshilfe für den schwierigen Partner verdreifachte. Bis 2014, so die Kerry-Lugar-Novelle, fließen 7,5 Milliarden Dollar in den zivilen Bereich.

Im Januar, als Pakistan den CIA-Agenten Raymond Davis inhaftierte, nachdem er in Lahore zwei vermeintliche Verfolger erschossen hatte, drohte der US-Kongress mit einem Stopp des Finanzflusses. Im März kam Davis auf freien Fuß, während die Angehörigen seiner beiden Opfer Schmerzensgelder akzeptierten. Ohne mächtige Fürsprecher hinter den Kulissen, entweder in der Armee oder in den Reihen des Geheimdiensts ISI, wäre der Deal wohl nicht möglich gewesen. Es sind Indizien dafür, wie eingespielte Mechanismen funktionieren. Jetzt aber will das Weiße Haus es genauer wissen.

Doch Islamabad windet sich. Militär und Geheimdienst sitzen in der Zwickmühle: Sagen sie, dass sie keine Ahnung hatten, wo bin Laden steckte, stehen Pakistans Schlapphüte als unfähige Deppen da. Räumt der Geheimdienst jedoch ein, bin Ladens Aufenthaltsort gekannt zu haben, entlarvt er sich selbst als Terror-Mäzen. Präsident Asif Ali Zardari übernahm daher die undankbare Aufgabe, Stellung zu beziehen. Wie üblich tat er dies nicht in den heimischen Medien, sondern wählte die US-Zeitung "Washington Post" als Forum. Doch auch er blieb Antworten schuldig. Stattdessen beteuerte er, dass Pakistan nicht an dem Zugriff auf bin Laden beteiligt war. Und dass die Behörden geglaubt hätten, bin Laden verstecke sich woanders.

Unklar ist deshalb weiter, welche Rolle Pakistan beim Zugriff auf bin Laden selbst spielte. Die Berichte dazu blieben widersprüchlich. Der Herausgeber des politischen Magazins "World Affairs", Come de Carpienter, hegt Zweifel an der gesamten offiziellen US-Version von der Jagd auf bin Laden. "Zahlreiche Beobachter und Analysten haben seit Jahren immer wieder erklärt, dass bin Laden unter dem gemeinsamen Schutz von USA und Pakistan in Pakistan lebt. Und sie haben vorausgesagt, dass er eines Tages mit großer Fanfare getötet wird."

(RP)
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