Kritik an Frontex Der EU-Grenzschutz ist mangelhaft

Analyse | Düsseldorf · Der EU-Rechnungshof zeigt der europäischen Agentur Frontex die rote Karte. Die Grenz- und Küstenwache der Europäer handelt ineffizient und unkoordiniert. Bei grenzüberschreitenden Verbrechen versagt sie völlig.

 Die europäische Grenzschutzagentur Frontex begleitet ein Schlauchboot mit Flüchtlingen auf die griechische Insel Lesbos.

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex begleitet ein Schlauchboot mit Flüchtlingen auf die griechische Insel Lesbos.

Foto: AP/Michael Varaklas

Die Abschaffung der Binnengrenzen im Abkommen von Schengen 1995 war neben dem Binnenmarkt und der Einführung einer gemeinsamen Währung die wichtigste politische Revolution auf der Ebene der Europäischen Union (EU) in den vergangenen drei Jahrzehnten. Wer aber den freien Personen- und Güterverkehr innerhalb Europas will, der muss die Außengrenzen effektiv sichern. Doch daran hapert es.

Seit 2004 werden die Grenzkontrollen nicht mehr ausschließlich den Ländern überlassen, die auf dem See- oder Landweg die Einreise in die EU überwachen. Die Mitgliedsstaaten verfügen seit dieser Zeit über einen eigenen Grenzschutz, die Organisation Frontex. Wie kaum eine andere EU-Behörde ist die Grenzüberwachung gewachsen. Auf 10.000 Personen soll Frontex bis 2027 aufgestockt werden. Noch im Jahr 2019 bestand die Truppe aus 750 Angehörigen.

Die ehrgeizigen Pläne der EU stehen aber im Kontrast zur mangelnden Effizienz und Durchschlagskraft des eigenen Grenzschutzes. Der jüngste Bericht des Europäischen Rechnungshofs in Luxemburg bringt das gleich in seiner Überschrift zum Ausdruck. Die von Frontex geleistete Unterstützung bei der Sicherung der Außengrenzen sei „bislang nicht wirksam genug“, heißt es dort. Ganz deutlich wird die Kritik der Rechnungsprüfer bei der Frage, ob die EU-Grenzschützer ihr 2019 ausgeweitetes Mandat wahrnehmen können. Der Bericht sieht da ein „erhebliches Risiko“. Denn es wurden zwar umfangreiche Mittel bewilligt, allerdings ohne „zuvor den Bedarf zu ermitteln oder die Folgen auf die Mitgliedstaaten abzuschätzen“, wie es weiter heißt. So darf Frontex zwar seit 2020 eigenständig Operationen an der Außengrenze durchführen. Doch die dazu notwendigen Informationen und Daten fließen den Grenzschützern nur unzureichend zu, wie die Rechnungsprüfer ermittelt haben. Frontex kann weder eine ausreichende Risikoanalyse noch eine zuverlässige Lagebeurteilung abgeben, um die Mitgliedsstaaten an der Grenze wirkungsvoll zu unterstützen. Zugleich gibt es erhebliche Lücken bei der Einschätzung der Folgen von Einsätzen und der möglichen Kosten. Die Behörde arbeitet gewissermaßen im Blindflug.

Vollends ungeeignet sind die EU-Grenzschützer bei der Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Kriminalität. Dort funktioniert weder die Lagebeurteilung durch die Mitgliedsstaaten an Frontex, noch die Berichterstattung über kriminelle Aktivitäten, so dass weder eine ausreichende Analyse der Risiken im Grenzraum noch das Auffinden von Schwachstellen möglich ist. So haben im Jahr 2018 etwa die Länder Irland, Australien und Neuseeland einen internationalen Kokain-Ring auffliegen lassen, ohne die EU-Grenzschützer auch nur darüber zu informieren. IT-Systeme wie Eurosur, auf die Mitgliedsstaaten und Frontex gemeinsam zugreifen können, wurden nicht entsprechend gefüttert. Wie Europas Grenzschutz da unter jährlich rund 400 Millionen Fluggästen, die etwa 2018 in die EU ein- und aus der EU ausreisten, mögliche Verbrecher herausfiltern soll, bleibt ein Geheimnis.

Die mangelhafte Organisation der Grenzsicherung hat bereits die Politik auf den Plan gerufen. „Frontex hat zu wenig Durchschlagskraft. Die Vorgaben und Koordinierungsregeln sind halbherzig und viel zu schwammig“, kritisiert Markus Pieper, der Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Der Christdemokrat nennt auch die Schuldigen. „Dafür tragen EU-Kommission und Mitgliedsstaaten gleichermaßen Verantwortung“, meint der Berichterstatter der konservativen EVP-Fraktion im Haushaltskontrollausschuss. Und an die Adresse des EU-Parlaments richtet er die Kritik: „Leider verhindern auch Linke, Grüne und Liberale, Frontex mit einer echten Polizeifunktion auszustatten.“

Die Schwachstellen von Frontex wurden erst Ende Mai überdeutlich. Über zwei Tage flüchteten 8000 Marokkaner in die spanischen Exklave Ceuta. Von Frontex war da nichts zu sehen. Spanien übermittelt an die EU-Grenzschützer auch keine Daten zu kriminellen Vorgängen an seinen Küsten.

Doch es wäre ungerecht, nur die Misserfolge der Sicherheitstruppe aufzuzählen. Zum einen müssen selbst im erweiterten Mandat weiterhin die EU-Grenzstaaten die Hilfe von Frontex anfordern. Die Sicherung der Außengrenze ist immer noch zuerst nationalstaatliche Aufgabe. Zum anderen fehlen beispielsweise immer noch einheitliche Verfahren insbesondere bei der grenzüberschreitenden Kriminalität.

Bei den gemeinsamen Manövern mit den Sicherheitskräften der Mitgliedsstaaten ging Frontex offenbar sehr professionell vor. Von der Aktion Poseidon im östlichen Mittelmeer im Jahr 2006 bis Themis, das vor den Küsten Italiens im Jahr 2018 begonnen wurde, erhob keine der beteiligten Parteien irgendeine Klage, wie der Rechnungshofbericht ausführt. Besonders wirksam war der im Jahr 2020 in der Ägäis gemeinsam mit Griechenland erfolgte Soforteinsatz. Er brachte den rasch angewachsenen Strom an Flüchtlingen vom türkischen Festland sofort zum Erliegen.

Tatsächlich ist die Zahl der Geflüchteten auf dem Mittelmeer zurzeit auf einem Tiefstand, so dass die Grenzschutzagentur Frontex im Augenblick nicht massiv gefordert ist. Und selbst der CDU-Kritiker Pieper findet: „Die Situation ist immerhin besser als vor vier oder fünf Jahren.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort