Berlin "EM in der Ukraine notfalls verschieben"

Berlin · Sollte die Fußball-Europameisterschaft aus Sicherheits- oder politischen Gründen in sechs Wochen nicht in der Ukraine stattfinden können, dann wird sie nach Einschätzung der Verantwortlichen nicht in ein anderes Land verlegt, sondern verschoben. Angesichts der Debatte um die Gesundheit der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko und nach der Anschlagsserie in der Ukraine vom Freitag sagte EM-Turnierdirektor Martin Kallen, ein Wechsel der Turnierorte sei unmöglich. Wenn es keine andere Chance gebe, müsse man "an eine Verschiebung des Turniers denken, in ein anderes Jahr". Derzeit gebe es dazu aber keinen Anlass.

Auf die Drohung mit einem Besuchsboykott der Spiele durch deutsche Spitzenpolitiker reagierte Kiew empört. "Man will gar nicht daran denken, dass die Staatsmänner Deutschlands fähig sind, die Methoden der Zeiten des Kalten Krieges wiederzubeleben und zu versuchen, den Sport zu einer Geisel der Politik zu machen", sagte Außenamts-Sprecher Oleg Woloschin. Die Ukraine sei "offenbar verwirrt", bemerkte dazu der Chef des Auswärtigen Bundestags-Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU). Er verwies darauf, dass auch der russische Präsident Dmitri Medwedew die Inhaftierung Timoschenkos als inakzeptabel bezeichnete. "Dann verliefe aus Sicht der Ukraine die Front in diesem Kalten Krieg also sowohl im Westen als auch im Osten", stellte Polenz fest.

Nach dem Eindruck des Außenexperten merkt die ukrainische Führung inzwischen, dass sie selbst einen großen Schatten auf die EM wirft. "Sie verspielt gerade die Chance, sich als offenes europäisches Land zu präsentieren", sagte Polenz unserer Zeitung. Es gehe derzeit nicht darum, die EM aus der Ukraine abzuziehen, sondern um die Frage, "ob sich Spitzenpolitiker angesichts der aktuellen Menschenrechtlage neben Staatspräsident Viktor Janukowitsch auf die Tribüne setzen und Tore feiern können".

Für Polenz hängt die Frage, ob Janukowitsch mit seinen Leibwächtern auf der Ehrentribüne allein bleibt, davon ab, "ob er sich zu einer humanitären Geste gegenüber Frau Timoschenko durchringt, die sich ja auch auf seine Weisung hin in Haft befindet". Die Lage Timoschenkos sei ein Symptom für die Entwicklung in der Ukraine, die Justiz systematisch zu politischen Zwecken zu missbrauchen. Darauf wiesen 20 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der früheren Regierung und vier Verurteilungen ehemaliger Minister hin.

Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) unterstützt die Boykottdrohung, sagte er unserer Zeitung. Nach Bundespräsident Joachim Gauck haben nun auch die Staatschefs aus Tschechien, Slowenien und Österreich ihre Teilnahme an einem Präsidententreffen in der Ukraine abgesagt.

(RP)
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