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Mit Verlaub! Die verlogenen Alt-68er

Wer die eigene Postpubertät für die bedeutendste Wende der Weltgeschichte hält, ist ein Apo-Oldie und Wichtigtuer. Die heutige junge Generation hätte mehr Grund zur Kritik als die Luxusprotestler von einst.

Über die Grünen-Politikerin Antje Vollmer, Jahrgang 1943, eine Zeit lang Vizepräsidentin des Bundestages, habe ich mich geärgert. Zum Gedenken an den verstorbenen, bedeutenden Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker meinte Vollmer, erst Weizsäckers viel gewürdigte Rede von 1985 zum Kriegsende am 8. Mai 1945 habe die 68er-Generation mit jener Bundesrepublik versöhnt, der sie innerlich den Rücken gekehrt hatte. Welche eine Anmaßung, was für ein historischer Unfug!

Die üppig versorgte Staatspensionärin und Alt-68erin Vollmer resümierte in Erinnerung an Weizsäcker: "Sie erlaubten uns ganz vorsichtig, wieder einzuwandern in das Land, in dem wir lebten." Dazu fällt einem der Befund über die anscheinend nicht enden wollende Selbstüberschätzung von Polit-Oldies wie Vollmer und anderen grau gewordenen Luxusprotestler von einst ein: Ein 68er ist ein Mensch, der die eigene Postpubertät für die bedeutendste Wende der Weltgeschichte hält.

Romantisierende Reminiszenzen bekennender 68er an ihre Generation, die angeblich an der Schuld ihrer Eltern und Großeltern schier verzweifelte, sind verlogen; und sie erscheinen als maßlos ungerecht gegenüber den tapferen, vielleicht manches verdrängenden Männern und Frauen der bundesrepublikanischen Aufbaugeneration. Der Journalist Kai Dieckmann überschrieb seine Abrechnung mit den Wichtigtuern der 68er-Generation als "Der große Selbstbetrug". Recht so.

Sie mögen bis zu jener (Achtung: Ironie!) 1985er kopernikanischen Wende in der Geschichtsdeutung tatsächlich tagsüber der Bundesrepublik den Rücken gekehrt haben; aber des nachts lagen diese Helden und Heldinnen der inneren Emigration in ihren Federbetten und nicht, wie wenige Jahrzehnte zuvor ihre Vater und Großväter, im Kriegsdreck.

Die heutige Jugend, die es weder beim Studium, noch in den ersten Berufsjahren annähernd so kommod hat wie Vollmer & Co. es hatten - sie hätte eher Gründe, an die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen kritische Fragen zu stellen. Realistisch wie die 89er sind, kommen sie jedoch nicht auf ideologische Verrücktheiten wie Teile der 68er, die die freiheitliche Ordnung der alten Bundesrepublik für etwas fürchterlich auf ihnen Lastendes hielten, aber vor Wonne erzitterten, wo immer sie einen ekligen Diktator mit Hammer und Sichel am Revers erspähten.

Man möchte jedem sich aufblasenden Alt-68er zurufen, was Günter Grass einst Oskar Lafontaine hinschleuderte: "Halt den Mund, und trink deinen Rotwein!"

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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