Christdemokraten verlieren auch Stuttgart Die CDU und ihr Großstadt-Problem

Berlin · Nach den Millionenstädten haben die Christdemokraten nun auch den Chef-Posten in Stuttgart verloren. Ein Jahr vor der Bundestagswahl wirft die Entscheidung im Ländle ein grelles Licht auf das zunehmende Unvermögen der CDU, im städtischen Milieu anzukommen.

Da hatte die CDU in Stuttgart schon einen Seiteneinsteiger aufgestellt, einen Großstädter, einen, der weiß, was die Menschen überzeugt, der obendrein noch den Schwabenspruch "Wir können alles — außer Hochdeutsch" erfunden hatte. Doch auch Sebastian Turner kam nicht gegen den Grünen Fritz Kuhn an. Dabei sollte Stuttgart für die Südwest-CDU den Machtverlust im Ländle als peinlichen Ausnahmefehler entlarven, der nur der Atomkatastrophe in Japan zuzuschreiben sei. Doch seit diesem Sonntag weiß die CDU, frei nach Turner: Wir können alles, außer Großstädte.

Das ist ein Jahr vor der Bundestagswahl ein denkbar schlechtes Vorzeichen für die Parteizentrale. In allen deutschen Millionenstädten sitzen SPD-Bürgermeister auf den Chefsesseln. Selbst der Wahlkampfeinsatz der Bundeskanzlerin brachte der CDU in Stuttgart keinen Erfolg. Die hatte schon zuvor in einer Regionalkonferenz ein "Manko" der CDU in den großen Städten eingeräumt. Ihre Vermutung: Die CDU nehme Teile des städtischen Lebensgefühles nicht richtig wahr.

In der Präsidiumssitzung der Bundes-CDU wurde die Wahlschlappe in Stuttgart gestern nur kurz diskutiert. Die Arbeitsgruppe des CDU-Präsidiums "Großstädte" soll demnächst eine Analyse der Stuttgart-Wahl vorlegen und sich Gedanken über Themen machen, die von der CDU gezielt in Großstädten eingesetzt werden können.

Die Arbeitsgruppe war nach der Bundestagswahl 2002 eingesetzt worden, weil ein Grund für den hauchdünn vergeigten Machtwechsel in dem vergleichsweise geringen Rückhalt der städtischen Wähler für die CDU gelegen hatte.

Südwest-CDU-Chef Thomas Strobl verwies in der gestrigen Gremiensitzung auf eine langjährige strukturelle rot-grüne Mehrheit in der Landeshauptstadt, mahnte aber ebenfalls eine Analyse an. "Wir nehmen das sehr ernst", sagte ein Präsidiumsmitglied. Ausgerechnet in den bevölkerungsreichsten Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg werden inzwischen wichtige Großstädte von SPD- oder Grünen-Politikern regiert; in NRW etwa Dortmund, Bochum, Bonn, Köln und Mönchengladbach. Nur Leverkusen, Wuppertal und Düsseldorf sind in CDU-Hand. In Baden-Württemberg regieren Sozialdemokraten in Ulm, Pforzheim, Mannheim und Villingen-Schwenningen, in Freiburg und Stuttgart Grüne.

Die Probleme in den Städten legen auch den Konflikt in der CDU zwischen Konservativen und Modernisierern offen. Die Union müsse in der Gesellschafts-, der Schul- und Bürgerrechtspolitik modernere Positionen einnehmen, um in den Städten zu reüssieren, mahnen nun die Modernisierer. "Eine harte konservative Haltung verprellt in Großstädten Wähler", sagt ein CDU-Vorstandsmitglied, das eher zum liberalen Flügel zählt. Der baden-württembergische CDU-Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann verlangt neue landes- und bundespolitische Konzepte zur Wiedererlangung von Mehrheiten in Städten und Gemeinden. Das sei ein durchaus mühsamer Weg, den die Partei gemeinsam beschreiten müsse.

Oder einfach besser zuhören: Berlins CDU-Chef Frank Henkel führte seine Partei wenigstens als Juniorpartner wieder in die Regierung, weil er die CDU geöffnet und die Bürger aufgefordert hatte, am Wahlprogramm mitzuschreiben. Diese neue Offenheit, die man eher bei den Grünen oder Piraten vermutet hätte, brachte die Berliner CDU immerhin von 21 auf 23 Prozent. Das bedeutet zugleich: Es muss noch viel passieren, bis die alten 40-Prozent-Werte wieder greifbar werden.

(brö, may-)
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