"NSA mit den Deutschen unter einer Decke" Snowden bringt den BND in Erklärungsnot

Die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden bringen nahezu sämtliche westlichen Geheimdienste massiv in Verlegenheit. Die Kanzlerin bemüht sich um Schadensbegrenzung.

Berühmte "Whistleblower" der jüngeren Geschichte
7 Bilder

Berühmte "Whistleblower" der jüngeren Geschichte

7 Bilder
Foto: dpa

In der Affäre um die massenhafte Ausspähung von Bundesbürgern durch den US-Geheimdienst NSA gerät jetzt auch die deutsche Spionageabwehr unter Druck. Der Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden verwies auf die internationale Zusammenarbeit seines ehemaligen Arbeitsgebers: "Die stecken unter einer Decke mit den Deutschen, genauso wie mit den meisten anderen westlichen Staaten", sagte er in einem am Sonntag vom "Spiegel" veröffentlichten Interview.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bemühte sich um Schadensbegrenzung und warnte davor, den Start der Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU am Montag aus Verärgerung über die angeblich systematische Auswertung der Datenströme platzen zu lassen.

Systematische Missachtung der Privatsphäre

Weltweit werde massiv die Privatsphäre von Menschen missachtet, sagte Snowden. Bei der Zusammenarbeit der Dienste werde darauf geachtet, die jeweiligen Regierungen nicht zu kompromittieren. "Die anderen Behörden fragen uns nicht, woher wir die Hinweise haben, und wir fragen sie nach nichts." Dadurch würden die politischen Spitzen geschützt, falls Aktionen publik würden. Das Gespräch mit Snowden führten dem "Spiegel" zufolge der amerikanische Chiffrier-Experte Jacob Appelbaum und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras mit Hilfe verschlüsselter Emails kurz bevor Snowden die umfangreiche Spähaktionen der USA enthüllte.

Der "Spiegel" berichtete, der Bundesnachrichtendienst (BND) werte mit Hilfe von NSA-Technik den aus dem Nahen Osten kommenden Telefon- und Internet-Verkehr aus. Dass die Zusammenarbeit zwischen NSA und BND enger als bislang bekannt sein könnte, vermutet auch er Ex-Präsident des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gert Rene Polli. Ihm sei das Spähprogramm Prism unter anderem Namen bekannt gewesen, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Daher sei es "widersinnig und unnatürlich", wenn deutsche Behörden nicht davon gewusst hätten.

Am Sonntag antwortet beim BND lieber keiner

Der BND war am Sonntag zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Der Bundesverfassungsschutz hatte bereits früher erklärt, erst aus den Medien von Prism erfahren zu haben. Nach von Snowden veröffentlichten Unterlagen soll die NSA jeden Monat auf rund 500 Millionen Kommunikationsvorgänge in Deutschland zugreifen. Dem Bericht zufolge darf der BND bis zu 20 Prozent der Daten verwerten.

Merkel verwahrte sich gegen die Ausspähungen. "Abhören, das geht nicht unter Freunden", sagte die CDU-Vorsitzende am Samstag bei einer Parteiveranstaltung in Bad Salzuflen. Die Verhandlungen über die Freihandelszone sollten aber trotz der Spionage-Affäre "ganz gezielt" geführt werden. Bei der Arbeit der Geheimdienste müsse eine Balance zwischen dem Schutz vor dem Terror und dem Schutz persönlicher Daten gefunden werden. Diese Balance müsse mit den USA erörtert werden.

Das Faustpfand der Europäer

Mehrere Koalitionspolitiker hatte nach Bekanntwerden der Spionage-Affäre Konsequenzen für das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union gefordert. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte hingegen vor einer Verzögerung des Abkommens und verwies auf den erwarteten Schub für Wirtschaft und Arbeitsplätze durch die Freihandelzone. "Dieses Ziel dürfen wir wegen der Abhör-Affäre nicht gefährden", sagte er der "Bild am Sonntag".

Snowden sagte in dem Interview weiter, die NSA arbeite mit Telekom-Firmen zusammen. "Generell kann man sagen, dass man multinationalen Konzernen mit Sitz in den USA nicht trauen sollte." Die Deutsche Telekom hat nach den Worten ihres Chefs Rene Obermann nicht mit der NSA zusammengearbeitet. "Wir kooperieren nicht mit ausländischen Geheimdiensten", sagte er dem Deutschlandfunk.

Auch Bolivien bietet Asyl an

Mit Bolivien bot am Wochenende ein drittes sozialistisch regiertes lateinamerikanisches Land Snowden Asyl an. Zuvor hatten Venezuela und Nicaragua dem 30-Jährigen, der weiter im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo vermutet wird, Aufnahme zugesagt. Die USA fordern seine Auslieferung.

(REU)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort