Minister stellt Jahreswirtschaftsbericht vor Sigmar Gabriel — Chefökonom der Regierung

Berlin · Der Wirtschaftsminister will mehr sein als nur Merkels Mann für die Energiewende: Den Jahreswirtschaftsbericht, den er am heutigen Mittwoch vorgestellt hat, nimmt der SPD-Vorsitzende am Donnerstag im Bundestag zum Anlass, der Koalition neue wirtschaftspolitische Leitlinien vorzugeben.

Das ist Sigmar Gabriel
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Sigmar Gabriel, der Energieminister, sitzt einsam auf der Regierungsbank, das Parlament ist um zehn Minuten vor neun Uhr noch verwaist. Der Vize-Kanzler bereitet sich auf seine erste Regierungserklärung in dieser Legislaturperiode vor. Sein Thema ist an diesem Morgen Ende Januar die Reform der Ökostrom-Förderung, doch ein bisschen verrät Gabriel schon bei diesem ersten Auftritt, dass er sich in der Regierung viel mehr vorgenommen hat als das. "Wirtschaftspolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik", holt er wenig später aus. Der Wirtschaftsminister sei "nicht bloß zuständig" für die Energiewende. Er verstehe sich "als Partner für alle, die sich an der sozialen Marktwirtschaft beteiligen".

Am Donnerstag wird Gabriel wieder am Rednerpult des Bundestags stehen. Diesmal kann er die Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts der neuen Regierung zum Anlass nehmen, um sich nicht mehr nur als Sanierer einer aus den Fugen geratenen Energiewende zu inszenieren, sondern als einer, der als Chefökonom dieser Regierung auch das Grundsätzliche im Blick hat.

Gabriel hat das wirtschaftspolitische Vakuum in der Regierungsspitze schon vor langer Zeit richtig erkannt, das Angela Merkel und Wolfgang Schäuble nicht zu füllen vermochten. Nun nutzt der SPD-Vorsitzende die Chance, der Regierung neue wirtschaftspolitische Leitlinien zu diktieren.

Gabriel tickt anders als Rösler

Das soll durchaus zu einer Akzentverschiebung in der deutschen Wirtschaftspolitik führen — hin zu ein wenig mehr Regulierungsfreude, mehr Industriepolitik, weniger Marktgläubigkeit und Konsolidierungszwang. Der Sozialdemokrat Gabriel tickt anders als sein Vorgänger Philipp Rösler von der FDP — und auch als Angela Merkel, die in diesen Fragen ohne festen Glauben ist.

In einem Schreiben, das Gabriel Mitte Januar an seine Ministerkollegen geschickt hatte, lieferte er bereits den theoretischen Überbau einer Wirtschaftspolitik à la Gabriel. "Die deutsche Wirtschaftspolitik muss sich durch Innovationen und durch die Auflösung von Blockaden auszeichnen", schrieb Gabriel an seine Ressortkollegen. Das "alte Denken", ob die soziale Marktwirtschaft durch mehr Markt oder mehr Staat gelinge, müsse endlich überwunden werden. Für Gabriel ist "eine Marktwirtschaft ohne klaren staatlichen Ordnungsrahmen etwa im Bereich der Finanzmärkte, der ökologischen und sozialen Standards eben keine soziale Marktwirtschaft".

Die makroökonomische Debatte — also die Debatte über Wirkungen der Geld-, Lohn- oder Finanzpolitik auf Wachstum und Beschäftigung — will Gabriel beleben. In Deutschland gebe es hier "im Unterschied zu angelsächsischen Ländern wie den USA einen Mangel an makroökonomischer Debatte", meinte Gabriel. Auch Angebots- und Nachfragepolitik oder Konjunktur- und Konsolidierungspolitik mag Gabriel nicht mehr gegeneinander ausspielen.

Er plädiert stattdessen für eine "vorausschauende konjunkturorientierte Fiskalpolitik", die in schlechteren Zeiten nicht zu Lasten von Zukunftsinvestitionen geht. "Überall dort, wo einseitig gespart worden ist, ohne Wachstum zu fördern, sind die gesamtstaatlichen Defizite gewachsen und nicht reduziert worden", schrieb Gabriel. Haushaltskonsolidierung könne "ohne Wachstum nicht gelingen".

Solides Wachstum vorausgesagt

Die Investitionen, staatliche wie private, will Gabriel ankurbeln, denn das Land habe eine Investitionsquote, die deutlich unter dem Industrieländer-Durchschnitt liegt. "Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bleibt notwendig. Sie darf aber nicht zu Lasten dringender öffentlicher Investitionen gehen", hieß es in Gabriels Brief. Der Wirtschaftsminister würde auch dann auf die Ausweitung der Investitionen für Straßen und Schulen pochen, wenn das erklärte Ziel der Union infrage stünde, 2015 im Bund die Nullverschuldung zu erreichen.

Doch zu solchen Auseinandersetzungen in der schwarz-roten Koalition wird es wohl gar nicht kommen: Im Jahreswirtschaftsbericht sagt Gabriel ein solides Wachstum von 1,8 Prozent 2014 und von 2,0 Prozent 2015 voraus. Auch danach soll die Wirtschaft weiter mit durchschnittlich 1,5 Prozent zulegen. Damit hätte Schwarz-Rot beste Voraussetzungen, beides zu schaffen: die Nullverschuldung für die Union und die höhere Investitionsquote für Gabriel.

(mar)
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