Kolumne Berliner Republik Die hektischen Datenschützer der Union

Berlin · Früher war Kriminalitätsbekämpfung für die Union ein Wahlkampfschlager. Heute benötigen die privaten Daten der Bürger Schutz. Doch Merkel & Co. finden im Fall Snowden nicht die richtige Antwort.

In der Unionsführung wächst die Angst. Die Angst, dass ein unscheinbarer junger Amerikaner mit Kassengestell auf der Nase sie den sicher geglaubten Wahlsieg kosten könnte. Der Informant Edward Snowden und der von ihm aufgedeckte weltweite Datenraub durch den US-Geheimdienst NSA rütteln die politische Landschaft durch. Und die Affäre spült ein Thema nach oben, das bei CDU und CSU bislang nur im Appendix der Programmatik vorkam: Datenschutz.

Eine Fehleinschätzung. Denn die NSA-Datenspionage sprengt nicht nur alle Dimensionen. Nur zum Vergleich: Das Stasi-Material über die DDR-Bürger füllt etwa 48 000 Aktenschränke. Was die NSA auf ihren Servern speichert, würde ausgedruckt 42 Billionen Aktenschränke füllen. Eine Fläche von 17 Millionen Quadratkilometern, fast so groß wie Afrika. Der Datenskandal schneidet nun eine tiefe Wunde in das Rechtsstaatsempfinden der Bürger. Damit ist der Datenschutz so etwas wie die innere Sicherheit einer digitalen Gesellschaft. Private E-Mails an Freunde, Telefonate mit der Familie, Einkäufe im Internet — das ist Intimsphäre pur. Und damit schutzbedürftig.

78 Prozent der Deutschen sind nach Umfragen empört über die US-Schnüffler und sagen, dass die Bundeskanzlerin schärfere Worte an die Vereinigten Staaten richten sollte. Solche Mehrheiten gibt es in Deutschland höchstens bei der Ablehnung der Atomkraft oder beim Ja zur Mülltrennung. 55 Prozent der Deutschen finden gar, dass Snowden Asyl in Deutschland bekommen sollte. Was hat der Mann anderes gemacht, als westliche Werte zu verteidigen?

Früher zückte die Union in Wahlkämpfen die Karte innere Sicherheit, wenn es eng wurde. Warnschussarrest, elektronische Fußfessel, härtere Strafen für kriminelle Jugendliche — die Wächter von Recht und Ordnung saßen bei den Konservativen. Die Kompetenzwerte der Union beim Datenschutz liegen indes im einstelligen Prozentbereich.

Der fast kindlich-trotzige Satz der Kanzlerin zum wohl größten Datenskandal ("Das geht gar nicht") belegt die digitale Ratlosigkeit. Doch Merkel will die Schwachstelle beseitigen. Eine Gruppe aus Unions-Fachpolitikern soll heimlich beauftragt worden sein, weitergehende Ideen zum Datenschutz zu entwerfen, die noch vor der Wahl diskutiert werden könnten. "Verbraucher haben ein Recht auf Selbstbestimmung über ihre persönlichen Daten", heißt es im Unions-Wahlprogramm.

Das wurde erst vor zwei Wochen beschlossen. Und klingt schon heute zynisch.

(brö)
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