Kolumne Berliner Republik In Dänemark ist Wählen erste Bürgerpflicht

Berlin · Bei der Bundestagswahl im Herbst droht wieder ein Nichtwähler-Rekord. Das muss nicht so sein. Bei unseren Nachbarn im Norden zum Beispiel ist Wählen sexy. In ist, wer drin ist – in der Wahlkabine.

Das Wahlprogramm der Union zur Bundestagswahl 2013
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Foto: dpa, Tim Brakemeier

Bei der Bundestagswahl im Herbst droht wieder ein Nichtwähler-Rekord. Das muss nicht so sein. Bei unseren Nachbarn im Norden zum Beispiel ist Wählen sexy. In ist, wer drin ist — in der Wahlkabine.

Er ist das unbekannte Phänomen der deutschen Politik. Und doch der Gewinner jeder Wahl: der Nichtwähler. Bei der Bundestagswahl 2009 war die Gruppe mit 28 Prozent erneut die stärkste Fraktion unter allen Wahlberechtigten, noch deutlich vor den Unionsparteien. Das Kerngeschäft der Demokratie, das Wahlrecht, entwickelt sich seit Jahrzehnten zum Ladenhüter. Experten erwarten für die Bundestagswahl am 22. September erneut einen Negativrekord.

Muss das sein?

Nein, wie ein Blick nach Dänemark zeigt. Dort gehen knapp 90 Prozent der Wahlberechtigten wählen. Auch das seit Jahren. Wählen, so beschreiben es dänische Politologen, ist "in". Die Dänen sind stolz auf ihr Bürgerrecht. Wer am Wahltag in einem Kopenhagener Geschäft einkaufen geht, wird von der Kassiererin schon mal gefragt, ob er denn schon wählen war. So ist es neulich einem deutschen Meinungsforscher passiert. Experten führen die hohe Wahlbeteiligung auf den ausgeprägten Sinn der Dänen für das Gemeinwohl zurück. Wer nicht wählt, ist Außenseiter und darf sich dann auch über politische Missstände nicht beklagen.

Und bei uns? Nichtwähler müssen keine gesellschaftlichen Repressalien fürchten. Am Stammtisch kommt es gut an, "denen da oben" die kalte Schulter zu zeigen. Dabei sind die Nichtwähler durchaus eine heterogene Spezies, wie Studien belegen. Im Grunde zufriedene Polit-Abstinenzler mischen sich mit Teilzeit-Demokraten, die wählen, wenn das Wetter gut ist und die Wahlkabine an der Route des Sonntagsspaziergangs liegt. Notorische Demokratie-Verweigerer sind die Ausnahme. Der Nichtwähler ist ein "Wähler auf Urlaub", sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Demnach wäre er bereit, den "Urlaub" abzubrechen, wenn es gute Gründe gibt.

Wir brauchen dafür keine Wahlpflicht oder Prämien. Die Wahl muss nur relevant sein. Die Kuschelrhetorik zwischen den großen Parteien ist da eher hinderlich. Auch Fürsorge könnte helfen. Nichtwähler sind wie kleine Kinder — sie wollen Aufmerksamkeit, sie wollen das Gefühl bekommen, dass sie gebraucht werden.

Die Haustür-Kampagnen, die die Sozialdemokraten planen, sind dafür der richtige Ansatz, denn eine kleine persönliche Erinnerung aktiviert das schlechte Gewissen. Die CDU will deshalb ähnlich vorgehen.

Wählen wird deshalb noch nicht sexy. Aber vielleicht wird Nichtwählen uncool.

(brö)
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