Interview mit Werner M. Bahlsen „Ich war blauäugig“

Berlin · Der CDU-nahe Wirtschaftsrat wird mit Astrid Hamker am Dienstag erstmals eine Frau an die Spitze wählen. Werner M. Bahlsen tritt ab. Wir haben mit dem 70-Jährigen im Interview über seine Bitten an die Union und das Thema Zwangsarbeiter im Konzern gesprochen.

 Werner M. Bahlsen (Archivbild).

Werner M. Bahlsen (Archivbild).

Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Der Keksfabrikant äußert sich zu den Schwächen der Koalition - und auch über die umstrittenen Äußerungen seiner Tochter über einstige Zwangsarbeiter im Unternehmen.

Herr Bahlsen, Sie waren vier Jahre Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, mit welchem Appell scheiden Sie aus dem Amt?

Bahlsen Die Politik sollte sich mehr auf einen Dialog einlassen und mehr unternehmerischen Sachverstand aufnehmen. Wir bieten das mit dem Wirtschaftsrat durch unsere Bundesfachkommissionen an und stehen im engen Austausch. Wir beziehen ordnungspolitisch klare Positionen, aber diese große Koalition beherzigt die Regeln der Sozialen Marktwirtschaft zu wenig. Diese große Koalition hat alle unsere Befürchtungen bestätigt, ja sogar übertroffen. Wenn wir mehr zusammen kämen, könnten wir nach Lösungen suchen und Lust auf Zukunft machen. Und dafür müssen wir mit der jungen Generation sprechen, wie die sich das vorstellt.

Welche Versäumnisse muss die Union auf ihr Konto nehmen?

Bahlsen In den letzten zehn Jahren hat die Union einen schleichenden Prozess erlebt, der den Markenkern der CDU verwässert hat. Das sehe ich als Markenartikler höchst kritisch. Wenn ich eine Marke nicht mehr klar definieren kann, wird sie beliebig. Die Gefahr sehe ich für die CDU.

Welche Versäumnisse hat der Wirtschaftsrat selbst zu beklagen?

Bahlsen Der Wirtschaftsrat hat immer wieder darauf hingewiesen, dass zum Markenkern der CDU eine klare, in die Zukunft gerichtete Wirtschaftskompetenz gehören muss. Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft gestalten und ihr Perspektiven für die nächsten zehn Jahre bieten. Das ist der Zeitraum, den Unternehmen brauchen für Investitionen und Sicherheit.

Was muss sich ändern?

Bahlsen Wir sind jetzt an einem Punkt, wo sich die Spielregeln komplett ändern und wir die Zukunft neu denken müssen. Ein Weiter-so kann es nicht geben.

Zum Beispiel beim Thema Klimaschutz?

Bahlsen Wir sind dafür, dass der effektive CO2-Verbrauch bepreist wird. Aber es kann angesichts der höchsten Strompreise in einem Industrieland nicht einfach noch oben drauf eine zusätzliche Klimasteuer gesetzt werden. Wir müssen einen Anreiz geben, weniger CO2 zu produzieren, aber intelligent und nicht wieder als nationaler Alleingang, sondern in Europa gemeinsam. Das ist Marktwirtschaft. Wir als Wirtschaftsrat haben uns immer mit Energiepolitik intensiv beschäftigt, also auch mit erneuerbaren Energien und dem Gesetz dazu, das ein massiver Eingriff in die Wirtschaft ist. Das kann man richtig finden, nur man muss marktwirtschaftliche Lösungen finden.  

Was kann der Staat leisten?

Bahlsen Staatsregulierungen sollten nicht zum Markenkern der CDU gehören. Beamte wissen nicht, was richtig und was falsch für die Wirtschaft ist.

Was kann die Union von den Grünen lernen?

Bahlsen Früher gab es einen Alfred Dregger und einen Norbert Blüm, die die Flügel der Partei abdeckten. Das gibt es heute nicht mehr. Eine breit aufgestellte Volkspartei wie die CDU wäre aber gut aufgestellt, wenn sie authentische Persönlichkeiten hätte, die für bestimmte Bereiche kompetent sind. Eine CDU zu führen, ist eine Sisyphus-Aufgabe. Die Linke weiß genau, was sie will und die Grünen haben ein Thema. Und eine Volkspartei kann sich nicht auf ein einzelnes Thema konzentrieren. Von den Grünen lernen? Die haben ein Thema, da sind sie konsequent. Mir fehlt dabei die Ausgewogenheit und der Realitätsbezug. Robert Habeck würde notfalls über Enteignungen nachdenken. Da hört es bei mir auf. Unser Wohlstand kommt aus den 22 Prozent Industrie-Wertschöpfung. Darum beneiden uns andere Länder. Aber die Grünen oder die Linken haben keine schlüssige Antwort, wie wir das bleiben können. Die SPD verabschiedet sich auch immer mehr in ihrem Denken von der Volkspartei eines Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder.

Sie sagen, Firmen sind keine Spielweise für Unternehmerkinder, was meinen Sie damit?

Bahlsen Ich habe meine Kinder so erzogen, dass sie freie Menschen werden. Deshalb sind sie auch auf die internationale Schule gegangen, wo Persönlichkeitsentwicklung ganz oben steht. Wenn ein Unternehmer sein Kind zwingt, in den Betrieb einzusteigen, obwohl es lieber Sportwissenschaften  studieren will, bringt das dem Unternehmen nichts. Und das ist auch eine Vergewaltigung des eigenen Kindes.

Wie ist es zu den Äußerungen Ihrer Tochter über die die Vergangenheit Ihres Unternehmens in der Nazi-Zeit gekommen, wonach Bahlsen Zwangsarbeiter gut behandelt hat?

Bahlsen Lassen Sie mich klarstellen: Die Menschen waren Zwangsarbeiter. Sie waren nicht freiwillig bei uns. Deshalb können wir nicht sagen, dass wir uns nichts haben zu Schulden kommen lassen. Wir haben einen Historiker beauftragt, der die Firmengeschichte im Nationalsozialismus grundsätzlich aufarbeitet. Da kommen vielleicht noch unangenehme Fakten heraus. Aber was auf den Tisch kommt, kommt dann auf den Tisch.

Warum jetzt erst?

Bahlsen Nachdem wir uns zunächst zu wenig darum gekümmert haben, wollen wir jetzt sicherstellen, dass unsere Geschichte gründlich untersucht wird. Ich habe meinen Vater erlebt als jemanden, der den Menschen zugewandt war. Meine Eltern haben mir aber nicht alles erzählt, was im Krieg war. Wie viele anderen Eltern auch nicht. Verena ist eine junge Frau, die darüber nachdenkt, wie Wirtschaft unsere Gesellschaft voranbringen kann. Die Äußerungen haben von den USA bis Israel ihren Widerhall gehabt. Aber sie hat es nicht besser gewusst. Wir haben das selbst nie ausführlich untersuchen lassen. Auch das war ein Fehler. Das war blauäugig. Ich war blauäugig. Jetzt machen wir das.

(kd)
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