Einbürgerungen Immer mehr Briten vollziehen den Exit aus dem Brexit

Vor allem in Deutschland ist die Zahl der Einbürgerungen von überzeugten Europäern aus dem Vereinigten Königreich stark gestiegen. In manchen Gemeinschaften und Freundeskreisen in Deutschland gibt es kaum noch einen Briten, der sich die europäischen Bürgerrechte nicht gesichert hätte.

 Ein Demonstrant vor dem britischen Unterhaus schwenkt im Januar 2019 eine EU- und eine britische Flagge.

Ein Demonstrant vor dem britischen Unterhaus schwenkt im Januar 2019 eine EU- und eine britische Flagge.

Foto: dpa/Tim Irland

Vor dem Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU ließen sich 622 Briten in Deutschland einbürgern. Im Jahr danach waren es 7.493, zwei Jahre später 14.600. Wenn im Mai die jüngsten Zahlen vorliegen werden, rechnen Statistiker mit einem weiteren steilen Anstieg. „Ich habe in meinem Bekanntenkreis keinen Briten, der inzwischen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat“, berichtet Christel Jenkner, die Geschäftsführerin der Deutsch-Britischen Gesellschaft in Düsseldorf.

Die ehemalige Englisch-Lehrerin hat viele britische Bekannte. Ihr Verein zählt 150 Mitglieder und über 250 ständige Gäste. Er bietet anglophilen Niederrheinern und britischen Einwohnern Neuigkeiten von der Insel, Interessantes aus Deutschland und deutsch-britische Geselligkeit im Großraum Düsseldorf - derzeit allerdings coronabedingt vor allem per Zoom. Jenkner erinnert sich an die Zeit vor dem Referendum, als niemand geglaubt hätte, dass die „Leave“-Befürworter sich durchsetzen könnten. Und an den Schrecken und die ersten Reaktionen danach: „Das fing sofort an, dass man sicherheitshalber die deutsche Staatsbürgerschaft haben wollte“, berichtet Jenkner. Die Statistiker der NRW-IT-Behörde bestätigen das: Allein von 2018 zu 2019 verdreifachte sich nahezu die Zahl der Einbürgerungen britischer Staatsbürger – von 1379 auf 3850 allein in Nordrein-Westfalen.

Sind die Briten auch raus aus der EU – in Deutschland stellen sie mit ihren beiden Pässen eine nachhaltige Klammer dar. „Britische Staatsangehörige in Deutschland spielen eine wichtige Rolle bei den engen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern“, weiß die neue Botschafterin des Vereinigten Königreiches in Berlin, Jill Galard. Viele Briten lebten und arbeiteten bereits seit vielen Jahren in Deutschland. „Und dass diejenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und erhalten haben, im Durchschnitt schon 27 Jahre in Deutschland sind, spricht dafür, dass sie ein Teil der Gesellschaft in ihren deutschen Städten und Gemeinden geworden sind“, lautet die Einschätzung Ihrer Exzellenz.

Ihr Team in der Berliner Botschaft sowie in den beiden Konsulaten in Düsseldorf und München betreue alle Briten in Deutschland konsularisch, wenn sie Hilfe bräuchten, betont die Botschafterin. Das gelte völlig unabhängig davon, ob sie Besucher seien, dauerhaft in Deutschland lebten oder eben neben der britischen auch die deutsche Staatangehörigkeit hätten. 34.618 Britinnen und 58.750 Briten waren zur Jahreswende 2019/2020 laut Statistischem Bundesamt in Deutschland registriert.

Sie verfügen insbesondere in der ehemaligen britischen Besatzungszone in Norddeutschland und NRW über jahrzehntelange Kontakte. Der Oberbefehlshaber Bernard Montgomery hatte bis Ende der 50er Jahre seinen Sitz in Bad Oeynhausen, über Jahrzehnte war das britische Hauptquartier in Rheindahlen (Mönchengladbach). Eine fünfstellige Zahl von britischen Soldaten war in der Rheinarmee stationiert – sie wurden mit ihren Familien Teil der deutschen Gesellschaft. Im vergangenen Jahr schrumpfte die britische Truppenpräsenz auf wenige hundert verbliebene Soldaten. Die Deutsch-Britische Gesellschaft blieb – unter anderem mit Standorten in Berlin, Düsseldorf, Münster, Bonn und Frankfurt.

Das mag erklären, warum nach dem Verlust der europäischen Staatsbürgerschaft die deutsche bei den Briten am beliebtesten ist. Nach dem Brexit-Referendum gab es in vielen der anderen 27 EU-Staaten steile Anstiege bei den Einbürgerungen. Nach Auskunft der Europäischen Statistikbehörde zum Beispiel in Belgien von 127 auf 1.381, in Frankreich von 374 auf 1.733, in den Niederlanden von 163 auf 1.248 und in Schweden von 453 auf 1.228 (jeweils 2015 und 2017 im Vergleich). Aber Deutschland liegt weit vorne, wie eingangs geschildert. Selbst in Spanien, dessen Südküste bei britischen Rentnern enorm beliebt ist, war lediglich ein Anstieg von 28 auf 54 Einbürgerungen zu verzeichnen. Das hängt zum Teil auch mit unterschiedlichen Bedingungen und Anforderungen zu tun.

Die Briten verlangen nach Berichten in der Deutsch-Britischen Gemeinschaft deutlich mehr Wissensnachweise von einbürgerungswilligen Deutschen als umgekehrt die Deutschen von lange hier lebenden Briten. Kein Problem für Campino von der Düsseldorfer Kultband „Die Toten Hosen“. Er ist seit März 2019 Brite. Von seiner englischen Mutter zweisprachig erzogen und seit seiner Kindheit von der Queen fasziniert, gehörte für ihn die britische Staatsbürgerschaft zur deutschen dazu. Er habe seinem Sohn seine Herkunft zeigen wollen, berichtete Campino im Interview. Nach dem Tod seiner Großmutter und Mutter habe die Staatsbürgerschaft „wieder ein Stück Nähe“ zu dem Land hergestellt, das zu ihm gehöre wie Deutschland.

Viele Briten in Deutschland können das nachvollziehen – und entscheiden sich für ihren persönlichen Exit aus dem Brexit.

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