Agrarminister Hans-Peter Friedrich tritt zurück Ein Pechvogel stürzt ab

Berlin · Er wollte möglichen Schaden von dem noch wackligen schwarz-roten Bündnis abhalten und hat dabei den größtmöglichen Schaden selbst angerichtet. Der Ablauf jener Geschehnisse, die zum Rücktritt von Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (56) geführt haben, passt zu vielen seiner Karriereschritte – ein Pechvogel ist abgestürzt.

Er wollte möglichen Schaden von dem noch wackligen schwarz-roten Bündnis abhalten und hat dabei den größtmöglichen Schaden selbst angerichtet. Der Ablauf jener Geschehnisse, die zum Rücktritt von Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (56) geführt haben, passt zu vielen seiner Karriereschritte — ein Pechvogel ist abgestürzt.

Es gab viele schöne Phasen im bisherigen Leben des CSU-Politikers. Zu den schönsten gehört etwa der Februar 2011. Seit 14 Monaten ist der Jurist aus dem fränkischen Naila Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Es gibt kein Thema, kein einziges, bei dem er nicht wichtig wäre. Er redet bei allem mit. Er kann im Koalitionsausschuss das bayerische Gewicht einer von drei Koalitionsparteien einbringen, ist aber trotzdem weder in die Kabinettsdisziplin eingebunden noch an der engen Leine des Parteichefs geführt. Er allein entscheidet, ob er lieber hinter den Kulissen agiert oder krachend für Schlagzeilen sorgt. Der Landesgruppenchef der CSU hat in CDU-geführten Bundesregierungen automatisch Augenhöhe mit dem Kanzleramt. Und weil das vielen Menschen nicht bewusst ist, kann er umso befreiter überall mitmischen.

Doch dieses Glücksgefühl endet abrupt, als der strahlende Star der CSU, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, durch seine von wem auch immer verfasste Doktorarbeit zum Glühwürmchen mutiert und dem Druck tagelangen Kesseltreibens nicht mehr gewachsen ist. Und weil die Bundeskanzlerin spürt, dass im Verteidigungsressort viel aufzuräumen ist und dafür keiner besser geeignet erscheint, als ihr gerade ins Amt des Innenministers gekommener Vertrauter Thomas de Maizère, überzeugt sie den CSU-Partner zum Ressorttausch. Der CDU-Innenminister wird Verteidigungsminister, und die CSU besetzt nun das Innenressort neu. Pech für Friedrich, dass alle dafür in erster Linie in Frage kommenden Kandidaten aus München zwar "eigentlich" gerne wollen, aber nach kurzer Bedenkzeit und Rücksprache mit der Familie dann doch abwinken. "Und jetzt ruft keiner mehr seine Familie an!", donnert Seehofer, nachdem er Friedrich in die Pflicht genommen hat.

Ein rechter Sheriff am richtigen Ort

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel ereilt Friedrich das Innenressort. Er ist schwer beeindruckt von der gepanzerten Limousine und fremdelt erkennbar mit der Tatsache, über Nacht zu einer der meistgefährdeten Personen Deutschlands geworden zu sein. Und er hat seinen Schreibtisch noch nicht in Besitz genommen, da hat er es sich auch schon mit einer wichtigen Gruppe verscherzt: Zu den Fragen nach seinen Vorhaben im Amt gehört am Tag seiner Ernennung auch die nach seinem Verhältnis zum Islam. Und er bleibt dabei, dass er es anders sieht als der damalige Bundespräsident Christian Wulff. Nein, für ihn gehört der Islam "nicht zu Deutschland". Das hat er historisch gemeint und damit Interpretationsspielraum für die Gegenwart gelassen. Doch der Aufschrei der Linken und Multikultis, der Islam-Gläubigen und Migrationspolitiker ist ihm gewiss. Und er beeilt sich auch nicht um Relativierung, zumal die Seinen ihn dafür umarmen: Einen harten konservativen Brocken hat die CSU jetzt da als Innenminister. Ein rechter Sheriff am richtigen Ort.

Das ist Hans-Peter Friedrich
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Damit beginnt zugleich das Leiden unter der widersprüchlichen Wahrnehmung. Denn im Herzen versteht sich Friedrich eigentlich als Liberaler. Ja klar, er hat schon als Jugendlicher gegen den linken Zeitgeist mobil gemacht. Aber in den 70er und 80er Jahren sind die christlich-sozialen Jungpolitiker auch Vorkämpfer gegen Verknöcherungen im konservativen Lager. Und seine eigene Familienkonstellation spricht Bände bei der Betrachtung, wie er denn das gemeint haben könnte, dass der "Islam nicht zu Deutschland gehört. Historisch gesehen." Natürlich gehört der Islam zu Friedrich. Die Frau seines Bruders heißt Ceynip, stammt aus der Türkei, und auch Friedrich selbst nimmt regelmäßig am Fastenbrechen teil.

Der Widerspruch zwischen Friedrichs Selbstbild und seinem Bild in der Öffentlichkeit reicht vom ersten bis zum letzten Tag im Amt. Da wird ihm rückschauend vorgehalten, dem US-Geheimdienst NSA auf den Leim gegangen zu sein. Als ob es nur darauf ankomme, durch geheimdienstliches Spionieren Terror zu verhindern! Statt mannhaft gegen den Überwachungswahn der Schlapphüte in Washington aufzutreten, registriert die Öffentlichkeit nur eine schlappe Intervention gegen millionenfaches Abhören von Deutschen. Ob die Supermacht USA sich durch markige Worte eines deutschen Innenministers hätte beeindrucken lassen? Vermutlich ärgert sich Friedrich inzwischen auch selbst, zumindest zur Selbstachtung keine schärferen Töne gewählt zu haben.

Stattdessen wird Friedrich am Ende seiner Amtszeit im Innenressort neuerlich zum Aufreger in der Szene, weil er angeblich selbstherrlich die Verfassung neu interpretiert und ein "Supergrundrecht auf Sicherheit" erfunden habe. Lesart: Bei ihm ist die ständige Gratwanderung zwischen Freiheit und Sicherheit längst zum Fehltritt geworden. Tatsächlich gemeint hatte Friedrich aber auch hier etwas anderes. In der aufgewühlten Atmosphäre des Wahlkampfes um die Bespitzelungen durch den US-Geheimdienst hatte Friedrich an die Gemeinsamkeit der Demokraten erinnern und die sozialdemokratischen Kritiker an eigene Regierungsverantwortung erinnern wollen. Otto Schily, einer seiner Vorgänger, so Friedrich im Sommer, habe "sicherlich Recht, wenn er von der Sicherheit als Supergrundrecht gesprochen hat". So war der Ball geworfen. Er landete indes als Friedrichs Erfindung ohne den SPD-Vorgänger als Quellenangabe.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel

Bei der neuerlichen Regierungsbildung hatte Friedrich nicht ganz so viel Pech wie sein CSU-Ministerkollege Peter Ramsauer, der ganz aus dem Kabinett flog. Aber das inzwischen geliebte Innenressort durfte er auch nicht behalten. Als Landwirtschaftsminister begann Friedrich gerade damit, neu durchzustarten, als seine Ministerkarriere endete, wie sie begonnen hatte: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dass SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in einer öffentlichen Erklärung Friedrichs Plaudereien am Donnerstag bloßstellen würde, erfuhr er erst, als die Eilmeldungen schon liefen.

Warum nur hat er sich selbst um Kopf und Kragen gebracht? Warum nur hat er höchst vertrauliche und sensible Ermittlungsinformationen dem SPD-Chef Siegmar Gabriel erzählt und damit zumindest in Kauf genommen, dass dessen Parteifreund Sebastian Edathy rechtzeitig vor Durchsuchungen wegen des Verdachtes der Kinderpornografie Belastendes beiseiteschaffen kann? Weil er im Oktober 2013 sah, wie wackelig das sich abzeichnende Bündnis aus Union und SPD ist. Seine Horrorvorstellung: Mitten in den Start der neuen Koalition mit einem möglichen Regierungsmitglied Edathy platzen Nachrichten mit Ermittlungen gegen den SPD-Politiker. Sofort, so sein Kalkül, werde man ihn, Friedrich, beschuldigen, die Koalitionäre nicht rechtzeitig gewarnt zu haben. Damit wäre das Bündnis sofort in eine prekäre Schieflage gegenseitigen Misstrauens geraten, und zwar durch seine Schuld.

Unerträgliche Belastung der Strafverfolgung

Doch das waren nicht mehr nur die Gedanken eines Pechvogels. Das war einfach zu kurz gedacht. Zwar hatte sich Jurist Friedrich eine von vielen möglichen Interpretationen herausgegriffen, nach der er nach bestem Wissen und Gewissen und rechtlich einwandfrei als Minister einen Abgeordneten vertraulich mit Informationen versorgen durfte. Doch er hätte zugleich wissen müssen, dass das früher oder später auch herauskommen und als unerträgliche Belastung der Strafverfolgung empfunden werden kann.

Und dann unternahm Friedrich den letzten schweren Fehler: Obwohl die Kanzlerin tobte, weil nach Eckhardt von Klaeden, Ronald Pofalla und Helmut Linssen binnen weniger Wochen schon der vierte Unionsmann im Mittelpunkt schlechter Presse steht, wollte er sich eine winzige Chance auf Rettung im Amt bewahren: Zwar fand er kein Vertrauen mehr bei der Kanzlerin, und spätestens bei ihrer eiskalten Kommentierung, seine Erklärung stehe "für sich" (und damit ungesagt auch die Botschaft: der Mann steht jetzt alleine da), und deshalb hätte er umgehend die Reißleine ziehen müssen. Doch er machte den unumgänglich gewordenen letzten Schritt davon abhängig, ob gegen ihn ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Das hätte ihm beim gründlichen Mahlen staatsanwaltschaftlicher Mühlen noch ein paar Tage im Amt beschert. Die Aussichten auf ein Überleben als Minister schätzte seine eigene Umgebung auf "unter fünf Prozent" ein. Doch zunächst versuchte er es. Bis ihm klar wurde, dass das angesichts des völlig verschwundenen Rückhaltes in CDU und CSU eine einzige Quälerei geworden wäre. So wurde sein Rücktritt pünktlich vor Beginn des Wochenendes ein kleiner Akt der Befreiung. Das Ende einer Ministerschaft der Missverständnisse.

(spol)
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