Verhältnis Deutschland-Türkei Die schwierige Beziehung zwischen Berlin und Ankara

Berlin · Ministerpräsident Erdogan ruft seine Landsleute dazu auf, gute Deutsche zu werden, Kanzlerin Merkel will ehrlich über den EU-Beitritt der Türkei verhandeln. Ob das ernst gemeint ist, ist fraglich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt im Bundeskanzleramt in Berlin den Ministerpraesidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan.

Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt im Bundeskanzleramt in Berlin den Ministerpraesidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan.

Foto: dpa, Tim Brakemeier

Wenn es nur die Worte wären, hätten Deutsche und Türken das allerbeste Verhältnis. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ruft bei seinem Berlin-Besuch seine Landsleute zu perfekter Integration auf, sie sollten nicht nur besser Deutsch lernen, sondern auch "Hegel, Kant und Goethe" verstehen. Im Gegenzug spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel von der "Brücke", die mehr als drei Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland bildeten, will "ehrlich" über den EU-Beitritt der Türkei verhandeln und nächstes Frühjahr auch den Grundstein für eine deutsch-türkische Universität legen.

Aber hinter den Worten stehen Einstellungen und Gefühle, und die erinnern eher an das Trauma Europas von 1683, als die Türken vor Wien standen und als osmanische Eroberer das christliche Abendland heimzusuchen drohten. "Die Türkei in der EU? Niemals!", pflegen Unionspolitiker auch heute zu sagen — und sie fühlen sich dabei in einer Gemeinschaft mit vielen Franzosen, Griechen, Briten usw.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bringt die Bedenken im Gespräch mit unserer Redaktion auf einen ungewöhnlichen Vergleich: "Wenn die Gemeinschaft sich entschlösse, die Türkei als Mitglied aufzunehmen, wäre historisch, politisch, kulturell und ökonomisch schwer begründbar, warum die nordafrikanischen Staaten nicht dazu gehören können." Schließlich habe Marokko schon vor Jahrzehnten einen Beitrittsantrag zur Europäischen Gemeinschaft gestellt.

Ankaras Ziel ist die Vollmitgliedschaft

Ähnlich lange hat die Türkei eine Europa-Perspektive. Dass ihr die Regierungspartei von Merkel am Ende des Beitrittsprozesses allenfalls eine "privilegierte Partnerschaft" in Aussicht stellt, empfinden viele Türken schon fast als Beleidigung. Eine privilegierte Partnerschaft sei ihnen schließlich schon vor Jahrzehnten zuerkannt worden. So betont in Berlin denn auch noch einmal der türkische Europaminister Egemen Bagis, dass sich sein Land einzig auf eine Vollmitgliedschaft einlassen werde.

Es braucht jedoch zwei zum Tango, auch im Tanz um die Türkei in der EU. Erdogan habe zwar erneut deutlich gemacht, dass er weiterhin die Mitgliedschaft in der EU anstrebe, sagt CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz. Doch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses kritisiert zugleich, dass der türkische Regierungschef Erdogan die Haupthindernisse in Brüssel und bei einigen EU-Mitgliedern sehe. "Er übersieht, dass es vor allen Dingen die Türkei ist, die tiefgreifende Reformen im Hinblick auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz umsetzen müsste, um die Beitrittskriterien zu erfüllen", betont Polenz. Seine Voraussage: "Je energischer Erdogan diese Reformen anpacken würde, desto mehr würden auch die von ihm angesprochenen Bedenken in der EU gegen einen Beitritt der Türkei schwinden."

Türkische Gesprächspartner geben den Vorwurf postwendend zurück: Eben weil die EU, angeführt von Deutschland, in der Mitgliedsfrage mauere, sei auch der türkische Eifer zu Veränderungen erlahmt. Sie erinnern an die Reform- und Beitrittseuphorie zu Zeiten von Merkels Vorgänger Gerhard Schröder, als der Beitritt nur noch eine Frage weniger Jahre zu sein schien.

In der CDU keine Mehrheit für Türkei-Beitritt

Für Polenz steht fest, dass eine Türkei auf Europa-Kurs "in unserem Interesse" liege, dass Deutschland den Beitritt in der EU folglich unterstützen solle. Doch hat der Außenpolitiker in seiner Partei dafür keine Mehrheit. Die Bedenken strahlen zudem aus den Brüsseler Institutionen zurück, wo die Türkei als dann vermutlich größter EU-Staat alle Mechanismen durcheinanderwirbeln würde. Dabei geht es nicht nur darum, dass behäbige Nationen einer dynamisch wachsenden Türkei Platz machen müssten. Es spielen auch immer wieder altbekannte Ressentiments gegen eine türkische "Parallelgesellschaft" mit integrationsunwilligen Migranten und kulturellen Unterschieden eine Rolle.

Dabei gäbe es Grund zur Freude. Am Tag des Erdogan-Besuches verweist NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) auf substanzielle Fortschritte in der Integration. Mehr als die Hälfte der jungen Leute in der dritten Generation erziele bessere Bildungabschlüsse als ihre Eltern. Allerdings belegt die Studie auch, dass 38 Prozent der Türkischstämmigen ihre Qualifikation nicht in einen passenden Job umsetzen können.

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland, kennt diesen Befund aus eigener Beobachtung. Immer mehr hochqualifizierte und bestens integrierte türkischstämmige Akademiker, Wissenschaftler, Forscher erlebten es, wegen ihres Namens oder ihres Aussehens benachteiligt zu werden. Nachdem Deutschland viel Geld in ihre Ausbildung gesteckt habe, entschlössen sie sich dann, im Land ihrer Vorväter Karriere zu machen. Die Türkei boomt: Über acht Prozent Wachstum, unter 1,5 Prozent Neuverschuldung — die Euro-Staaten können davon nur träumen.

Die Geduld geht inzwischen auf beiden Seiten allmählich verloren. Erdogan deutet bei seinem Besuch an, dass Europa die Türkei verlieren könnte, wenn ein Beitritt nicht bis zum 100. Jahrestag der Staatsgründung vollzogen sei. Das wäre im Jahr 2023. Viele türkischstämmige Bürger in Deutschland planen privat ähnlich. 45 Prozent geben an, "später" zurück in die Türkei zu wollen. Unter den Gründen ist auch einer, der mit der besten Integration nicht zu widerlegen ist: Das Wetter sei in der Türkei einfach besser.

(may-)
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