Rechte Gewalt in Chemnitz Die Sache mit der „Hetzjagd“ – über Unschärfe in der Sprache

Düsseldorf · Gab es in Chemnitz eine „Hetzjagd“ auf Migranten? Um den Begriff ist eine heftige Diskussion entbrannt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagt, er wolle keine „semantische Debatte“ - dabei ist gerade diese bitter nötig.

 Demonstranten der rechten Szene in Chemnitz (am 27. August).

Demonstranten der rechten Szene in Chemnitz (am 27. August).

Foto: dpa/Jan Woitas

Um den Begriff der Hetzjagd im Zusammenhang mit Übergriffen auf Ausländer in Chemnitz ist eine spannende Debatte entbrannt. Waren die Szenen, die im Fernsehen zu sehen waren, wirklich eine „Hetzjagd“, oder doch nur „Jagdszenen“?

Letztere Position vertritt Torsten Kleditzsch, Chefredakteur der Chemnitzer „Freien Presse“. Er hat in seinem Blatt begründet, warum seine Redakteure auf den Begriff „Hetzjagd“ verzichteten. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer pflichtet ihm ebenso bei wie die AfD. Kanzlerin Angela Merkel wiederum spricht von „Hetzjagden“, ein Dresdner Staatsanwalt erklärt, „Hetzjagd“ sei kein juristisch definierter Begriff. Es scheint, dass die Sprache, dieses flirrende Wesen, uns im Stich lässt, weil sie so unscharf und unstet ist. Wirklich?

Die Debatte ist berechtigt, so berechtigt, dass Regierungssprecher Steffen Seibert sich offensichtlich hat verunsichern lassen. Er hat erst von Hetzjagd gesprochen, das Wort dann vermieden und umschrieben und betont, er wolle keine „semantische Debatte“. Schade, denn genau diese Debatte muss man führen, um der Klarheit unseres politischen Urteils willen. Denn die Sprache ist eine Göttin: unser Weg in die Wahrheit. Die Sprache ist aber leider auch ein Hure: nutzbar für jedes schmutzige Ziel.

Das politische Ziel, warum Sachsens Ministerpräsident ebenso wie die AfD das Wort Hetzjagd abräumen wollen, ist klar. „Hetzjagd“ auf Menschen ist widerwärtig und, wenn das Wort Bestand hat, Sachsens Schande. Daher gewinnt die Debatte um Nuancen in der Bedeutung an Wucht. „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, und es gab keine Pogrome in dieser Stadt“, sagte apodiktisch Ministerpräsident Kretschmer.

Genauer wird der Chefredakteur der „Freien Presse“ in seiner Begründung für das Weglassen des Begriffs „Hetzjagd“, die sich genau zu lesen lohnt: „Es gab aus der Demonstration heraus Angriffe auf Migranten, Linke und Polizisten. So wurde Menschen über kurze Distanz nachgestellt. Insofern wäre der Begriff ‚Jagdszene‘ noch gerechtfertigt. Eine ‚Hetzjagd‘, in dem Sinne, dass Menschen andere Menschen über längere Zeit und Distanz vor sich hertreiben, haben wir aber nicht beobachtet.“ Demnach sind es die Dauer und die Strecke, die eine Jagd zur Hetzjagd machen.

Etwas unklarer, weil den Faktor Dauer weglassend, äußert sich Dresdens Oberstaatsanwalt Klein gegenüber dem „Spiegel“: „Ich verstehe unter einer Hetzjagd etwa mehrere Personen, die einen Menschen durch die Stadt jagen, um diesen zu verprügeln oder körperlich massiv anzugehen.“ Es ist eine feine, aber wichtige Nuance, dass er nicht ausdrücklich die Zeit-Komponente erwähnt; man kann sie nur erschließen: Eine Jagd „durch die Stadt“ dauert schon etwas. Oder ist ein Lauf über einen Platz auch schon eine „Hetzjagd durch die Stadt“? Ab wie viel Meter also hört eine Jagdszene auf und beginnt die Hetzjagd?

Die Frage ist nicht banal, am Ende geht es tatsächlich um Genauigkeit in der Sprache, und in diesem Punkt hilft bekanntlich ein Blick in den heiligen Gral der Sprachwissenschaft: das Grimmsche Wörterbuch. Bei Grimm ist zu lesen, dass das Wort „hetzen“ zum einen sprachgeschichtlich mit dem Wort Hassen verbunden ist. „Hetzen“ respektive „Hetzjagd“ war zunächst natürlich in der Jagdsprache beheimatet – als Bezeichnung für eine Technik, Beute zu machen. Allerdings weist Grimm auf eine entscheidende Entwicklung hin: Das Wort „Hetzen“ gewinne eine „freiere Verwendung, wobei die ursprüngliche waidmännische Verwendung bald mehr, bald weniger deutlich hervortritt“.

Die dafür aufgeführten Belege zeigen: Übertragen auf den Bereich des Menschlichen, tritt das Eifernde, Zerstörerische allen Hetzens zutage. „Alle sind gehetzt von Geschäften“, „Rastlos nach Gewinn hetzen“, schließlich Goethe in einer Passage aus „Iphigenie auf Tauris“, in der es um Todesahnungen geht: „Lasst mir so lange Ruh, ihr Unterirdschen, die nach dem Blut ihr, das von meinen Tritten hernieder träufelnd meinen Pfad bezeichnet, wie losgelassne Hunde spürend hetzt.“ Klar wird an allen Beispielen: Wo gehetzt wird, herrscht die Not eines aus dem Ruder laufenden Lebens. Wo der Jäger nüchtern tötet, verfällt der hetzende oder gehetzte Mensch in neurotische Übertreibung. Ein Sprichwort wie „er ist von allen Hunden gehetzt“ erzählt von der Angst vor Feinden, die Wut und Vernichtung wollen.

Eines spielt bei Grimm keine Rolle: die Zeit. Entscheidend ist die Intention, nicht die Dauer. Die Hetzjagd in ihrer erweiterten Bedeutung intendiert nicht Beute, wie man sie ja zum Leben braucht, sondern Hass, Vernichtung, vielleicht: Selbstzerstörung vor lauter Hetze.

Was heißt das für Chemnitz? Man darf, mit Grimm in der Hand, sagen: Hetzjagd, dieser erste Sprachimpuls, war richtig, denn die Intention war Feindschaft gegenüber dem Gejagten. Der Alternativbegriff „Jagdszenen“ ist dagegen fast idyllisch und erinnert an adeliges, später auch bürgerliches Vergnügen zur Zerstreuung. Auch wenn man das nicht mag (weil Tiere zum Spaß getötet werden), ist wiederum die Intention entscheidend: Es geht bei Jagdszenen um subjektives Vergnügen, nicht um Hass auf das Objekt der Jagd. Erlegte Tiere sind quasi Kollateralschäden einer eigenartigen Freizeitbeschäftigung. So seltsam es klingen mag: Die Jäger von Jagdszenen hassen nicht, sie töten einfach.

In Chemnitz war das anders: Dort wurde inbrünstig gehasst. Deswegen waren es nicht Jagdszenen, die wir sahen, sondern Hetzjagden in des Wortes erweiterter, schlimmster Bedeutung.

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