Neue Studie zu Büchereien Nichts geht über eine gut digitalisierte Bibliothek

Essen · Eine neue Studie zeigt, wie stark moderne Büchereien neben Wohnung, Schule oder Arbeitsplatz genutzt werden.

 Die Besucher in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam wollen längst nicht nur lesen.

Die Besucher in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam wollen längst nicht nur lesen.

Foto: Katrin Neubauer 2015dbv

Eltern schulpflichtiger Kinder wissen Bescheid: Wenn der Nachwuchs erst kurz vor dem Abendessen nach Hause kommt, hat er den Nachmittag wieder einmal an seinem „dritten Ort“ verbracht. Dieser Ort ist die Stadtbibliothek, und sie erscheint tatsächlich in vielerlei Hinsicht verlockend. Zumindest in Großstädten ist W-LAN-Empfang dort Standard, es gibt genug Sitzplätze, an denen man in Ruhe seinen Laptop aufklappen, die Hausaufgaben erledigen und durchs Internet schweifen kann. Nachschlagewerke stehen in Griffnähe, man kann, wenn nötig, das Personal um Hilfe bitten und hat auch endlich mal Abstand zu den Eltern.

So besehen sind Bibliotheken Oasen des Glücks und zugleich der kulturellen Bildung, auch für viele Erwachsene. Immer häufiger werden Bibliotheken auch zu Stätten neuer Formate: Tablet-Rallyes, Gaming-Events und Workshops mit VR-Brillen für Playstations.

Die Bibliothek als dritter Ort steht im Mittelpunkt einer Studie, die der in Essen ansässige Stiftungsverbund „Rat für Kulturelle Bildung“ jetzt vorgelegt hat. Sie trägt den Titel „Bibliotheken/Digitalisierung/Kulturelle Bildung. Horizont 2018“ und fußt auf Befragungen von knapp 700 Leitern öffentlicher Bibliotheken in Deutschland, durchgeführt von April bis Mai des laufenden Jahres. Daran beteiligt war Florian Höllerer, Geschäftsleiter des Literarischen Colloquiums Berlin und Mitglied im Rat für Kulturelle Bildung. Aus seiner Zeit in Stuttgart, wo er zuvor dem Literaturhaus vorstand, kennt er die schon seit Ende der 90er Jahre zukunftsweisende Arbeit der Stuttgarter Stadtbücherei, die 2013 zur „Bibliothek des Jahres“ gekürt wurde. Anzahl und Ausstattung der Arbeitsplätze und überhaupt die Aufenthaltsqualität überzeugten die Jury.

Vor allem aber in skandinavischen Bibliotheken sieht Höllerer Vorbilder für Deutschland: „Die Bibliothek ,DOKK1‘ in Aarhus radikalisiert solche Konzepte, indem sie außergewöhnlich großzügig Flächen zur freien Verfügung stellt. Ohne Rechtfertigungsdruck können Menschen darin gemeinsamen Interessen nachgehen, sei es einem Lesekreis, der Anfertigung von Plakaten für eine Demonstration oder musikalischen Experimenten in einem der eingerichteten Tonstudios.“

Noch einen Schritt weiter gehen Finnland und Dänemark. Sie entwickeln ihre Bibliotheken „landesweit zu gesellschaftlichen Knotenpunkten, in denen sogar Dienstleistungen von Bürgerämtern und Rathäusern ihren Platz finden können“.

Höllerer schätzt an den neuen Bibliotheken im Norden auch, dass sie mitten in die Stadt gebaut sind: „Jugendlichen einen eigenen Arbeitsplatz anzubieten, ihnen ohne Bedingungen und Vorgaben Raum zu überlassen – das zahlt sich aus.“ Das Neben- und Miteinander der analogen und der digitalen Welt hat sich der Umfrage zufolge mittlerweile zum Markenzeichen der Bibliotheken entwickelt. Im Großen und Ganzen sind sie mit der gegenwärtigen Lage zufrieden (Nutzer wurden leider nicht befragt), doch hinken die Bibliotheken auf dem Lande denen in den Großstädten hinterher, vor allem weil die Internetverbindungen oft mangelhaft sind.

Die Digitalisierung bildet den Mittelpunkt der Studie – wenn man sie zu Ende denkt, bedeutet das dann nicht die Verlagerung des Bibliothekswesens in die virtuelle Welt? Werden wir eines Tages alle nur noch am Arbeitsplatz oder daheim am Computer lesen? Höllerer teilt diese Bedenken nicht: „Analoges und Digitales werden ineinandergreifen. Das Analoge ist und bleibt ein selbstverständlicher Teil unserer Welt. Schließlich sind wir selbst analog. Und der Mensch sammelt analog kulturelle Erfahrung – der Anfang ist haptisch.“

Parallel zu den Stadtbibliotheken unterhalten viele Schulen eigene Bibliotheken. Höllerer verteidigt die Parallelität und lobt in diesem Zusammenhang die Schulbibliothekarische Arbeitsstelle der Stadtbücherei Frankfurt. Sie sendet „mobile Eingreiftruppen“ aus, die jeweils für einige Wochen in Schulen präsent sind und dort bei der Ausgestaltung der Bibliotheken helfen, Leseförderung betreiben und auf spielerische Weise für das Buch werben.

Das Buch scheint sich im Zusammenspiel mit den neuen Medien gut zu behaupten. Jahr für Jahr verzeichnen die öffentlichen Bibiotheken rund 120 Millionen Besucher. Damit sind sie die am meisten genutzten Kultur- und Bildungseinrichtungen in Deutschland.

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