Werbeverbot geplant Özdemir will „Zuckerbomben“ entschärfen

Analyse | Berlin · Wenn Kinder zu dick sind, kann das ihr ganzes Leben so bleiben, warnt Ernährungsminister Cem Özdemir. Er will deshalb die Werbung für Chips, Snacks und Süßes stark begrenzen. Doch es gibt bereits Widerstand.

Schokolinsen - lecker, aber eher ungesund. Minister Cem Özdemir will an Kinder gerichtete Werbung für Süßes oder Salziges verbieten.

Schokolinsen - lecker, aber eher ungesund. Minister Cem Özdemir will an Kinder gerichtete Werbung für Süßes oder Salziges verbieten.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) bemühte am Montag einige Zahlen. Rund 15 Prozent des Nachwuchses seien übergewichtig, darunter knapp sechs Prozent adipös. Durchschnittlich 92 Prozent der Lebensmittelwerbung, die Kinder wahrnehmen würden, drehe sich um Fastfood, Snacks und Süßigkeiten. Im Schnitt würden Kinder dann auch täglich 15 Werbespots „für Zuckerbomben, für salzige und fettige Snacks sehen“, so Özdemir. „Bei Kindern hört der Spaß auf, gerade der Werbespaß“, ergänzte der Minister. Ein Verbot soll es jetzt richten. Was wiederum nicht unumstritten ist.

Was plant der Grüne konkret?

Werbung für Ungesundes soll nicht mehr erlaubt sein, wenn sie sich gezielt an Kinder unter 14 Jahren wendet. Dabei geht es um Produkte mit zu viel Fett, Zucker und Salz. Bei der Feststellung soll sich an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO orientiert werden. Das Verbot soll für alle relevanten Medien, also Fernseh- und Radiosendungen sowie Online-Netzwerke und Influencer-Kanäle bei Youtube von 06.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr abends gelten. „Wir machen kein allgemeines Werbeverbot“, unterstrich Özdemir. „Auch für Chips und Schokolade darf weiter geworben werden“ - wenn sie sich nicht an Kinder wendet.

Wie begründet Özdemir sein Vorgehen?

Kinder würden nicht absichtlich ungesund essen und seien nicht selber Schuld für schlechte Ernährung. Er habe als Minister eine „Schutzverpflichtung“ gegenüber Kindern, die ihr Übergewicht meist ein Leben lang mit sich herumschleppen würden. Die Situation habe sich seit der Corona-Pandemie verschlechtert. Mit dem Verbot stärke man zudem „Eltern in ihrem stressigen Alltag“, sagte Özdemir. Ärzte, internationale Organisationen, Wissenschaft und Forschung sowie die Bundesländer hätten immer wieder Handlungsbedarf angemahnt, so Özdemir.

Was macht die Sache besonders kompliziert?

Die Einordnung, um welche Lebensmittel es geht und was an „an Kinder gerichtet“ bedeutet – wenn sie Werbedarsteller seien oder die Produktaufmachung entsprechend sei, erläuterte das Ministerium. Özdemir will das Verbot möglichst weit fassen, also auch Werbung rund um Fußballübertragungen einbeziehen. Das Sponsoring habe man bedacht, meinte der Minister. Ausgenommen werden soll allerdings die Fußballeuropameisterschaft 2024, weil die Werbeverträge längst geschlossen sind. Die Gesetzesregelung wird dann auch eine Übergangsfrist von zwei Jahren nach Inkrafttreten enthalten. Wann das sein wird, ist offen.

Warum probiert es Özdemir nicht mit einer Selbstverpflichtung?

Die gab es bereits. Vor gut fünf Jahren hatte die damalige Ministerin Julia Klöckner (CDU) mit der Industrie konkrete Zielvereinbarungen getroffen, um Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten zu reduzieren. Allerdings freiwillig. „Die bisherigen Selbstverpflichtungen haben versagt“, befand Özdemir. Jedem Unternehmen stehe es aber weiterhin frei, den Zuckeranteil in Produkten zu reduzieren, sodass sie weiter beworben werden könnten.

Wie fallen die Reaktionen aus?

„Mir ist völlig klar, dass ich da mit Gegenwind rechnen muss“, so der Grüne. Stimmt. Lob gab es zwar von Medizinern und Adipositas-Gesellschaft. Der Koalitionspartner FDP stellte sich jedoch gegen die Pläne, obwohl das Vorhaben im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai meinte: „Verbote bringen an dieser Stelle aus meiner Sicht nichts.“ Auch die Union lehnte die Pläne als ungeeignet ab. Unions-Fraktionsvize Steffen Bilger (CDU) sagte unserer Redaktion: „Özdemir ebnet den Weg für Dirigismus, Bürokratie und staatliche Bevormundung.“ Wie der Minister zielgenau die Produkte ausfindig machen wolle, die er für schädlich halte, „bleibt genauso offen wie die Frage, woran er denn festmachen will, welche Werbung sich eindeutig an Kinder richtet“.

(has)
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