Zwischen Baerbock und Scholz Historisches Duell der Kanzlerkandidaten im Wahlkreis Potsdam

Potsdam · Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Annalena Baerbock und Olaf Scholz haben einiges gemeinsam – zum Beispiel den Wahlkreis für die Bundestagswahl, in dem sie gegeneinander antreten.

 Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Die Grünen) ringen im Wahlkreis Potsdam um ein Bundestagsmandat.

Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Die Grünen) ringen im Wahlkreis Potsdam um ein Bundestagsmandat.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Im Auftreten könnten die beiden kaum unterschiedlicher sein. Die Grünen-Vorsitzende und designierte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die manchmal kaum schnell genug in Worte fassen kann, was ihr durch den Kopf geht – und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der Journalisten auch schon mal mit nordisch-knappen Ein-Wort-Antworten zu verblüffen sucht. Doch beide teilen nicht nur den Wohnort Potsdam, wo sie praktisch nur der Heilige See trennt. Sie kämpfen auch im gleichen Wahlkreis um das Direktmandat bei der Bundestagswahl am 26. September. Historisch ist das Duell der beiden einmalig.

Grünen-Chefin Baerbock, die der Parteivorstand am Montag als Kanzlerkandidatin nominiert hat, will einen Neuanfang. „Mit dieser Bundestagswahl endet eine politische Epoche und eine neue Zeit beginnt“, sagte Baerbock am Samstag in Potsdam vor ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin der Brandenburger Grünen. Der Landesparteitag stand unter dem Motto „Alles ist möglich“ – als wenn es schon ein versteckter Hinweis auf die Kanzlerkandidatur war.

Wo der politische Gegner sie angreifen wird, kann sich Baerbock denken. Bei ihrer Kür zur designierten grünen Kanzlerkandidatin nahm sie die Kritik vorweg: „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere.“ Ihre mangelnde Regierungserfahrung möchte sie als Chance für frischen Wind verstanden wissen. Zweifel an ihrer Eignung für das höchste Regierungsamt darf sie sich selbst keinesfalls anmerken lassen – und das tut sie auch nicht, bei aller „Demut“ vor dem Amt.

Die Lage ihrer Partei könnte sich Baerbock fünf Monate vor der Bundestagswahl kaum besser wünschen. In Umfragen liegt sie konstant über 20 Prozent. Im Vergleich zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 wäre das mindestens eine Verdopplung. Erklärtes Ziel ist allerdings, der Union das Kanzleramt abzujagen. Eine Forsa-Umfrage platzierte die Grünen diese Woche sogar vor der Union – bleibt abzuwarten, ob das nicht nur ein Ausreißer war.

So oder so: Die Grünen stellen in diesem Jahr eine ernstzunehmende Gefahr für die von Affären gebeutelte Union dar, was diese auch einräumt. Ihre Top-Themen bleiben Klima- und Umweltschutz. Doch nur, wenn Wählerinnen und Wähler die Ökopartei auch in anderen Politikbereichen für kompetent halten, werden die Grünen die guten Umfragen in für sie erfreuliche Wahlergebnisse verwandeln können.

So spricht Baerbock häufig über die Situation von Kindern in der Corona-Krise, Co-Chef Robert Habeck über gesellschaftlichen Zusammenhalt. Verbote fordern sie längst nicht mehr, stattdessen Rahmenbedingungen, die umweltfreundliches Verhalten und nachhaltigen Konsum attraktiver machen als sie es heute sind.

Seit 2005 ist die gebürtige Hannoveranerin Mitglied der Brandenburger Grünen, war von 2009 bis 2013 Landeschefin. Auf ihren Landesverband kann sie sich verlassen: Mit 97 Prozent wählte der Landesparteitag sie am 17. April zur Spitzenkandidatin.

Der Bundestagswahlkreis 61 mit Potsdam und Umgebung ist ein Promi-Wahlkreis. So treten neben Baerbock und Scholz für die CDU die ehemalige Brandenburger Landeschefin Saskia Ludwig und für die FDP Ex-Generalsekretärin Linda Teuteberg an. Bei der Bundestagswahl 2017 gewann die heutige Brandenburger Wissenschaftsministerin Manja Schüle dort das einzige Direktmandat der SPD in Ostdeutschland – das würden nun auch gern die Grünen holen.

Die SPD ist seit mehreren Monaten wie festgetackert bei 15 bis 18 Prozent in der Wählergunst. Wenn es nach den Genossen geht, müsste es bald losgehen mit der Aufholjagd. Die Haupthoffnung von Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Co. auf einen Sieg im September entzündet sich an Amtsinhaberin Angela Merkel – beziehungsweise der Lücke, die sie reißen wird, und der Erwartung, dass den Wählern der Mitte dies rechtzeitig dämmert und sie ihr Kreuz lieber bei dem erfahrenen Scholz machen als bei der Konkurrenz. Jetzt könnte es losgehen mit frischem Zulauf für die SPD oder reumütiger Rückkehr – nachdem mit Baerbock eine Kandidatin ohne Regierungserfahrung aufgestellt ist und mit Armin Laschet jemand, dem viele die Erfahrung in den vergangenen Wochen zumindest nicht so angemerkt haben.

Scholz ist präsent im Wahlkreis, ob er einen Wissenschaftspark besucht oder an einer Diskussionsrunde mit Hoteliers teilnimmt. Mit Scholz wissen die Leute, was sie haben. Seit August 2020 ist klar, dass er der SPD-Kandidat ist. Streit gab es darüber keinen. Das Äußerste, was sich Scholz an Gefühlsausbrüchen in der Öffentlichkeit leistet, ist manchmal ein verschmitztes Grinsen – ansonsten: Berechenbarkeit pur. Mit seinem jüngsten Bekenntnis zum ökologischen Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft würde er auch prima passen für ein Rot-Grün-plus-x-Bündnis. Es wird also spannend, wenn der Mann mit sprödem Charisma und Baerbock um jene Wähler der Mitte kämpfen, die Laschet das Regieren vielleicht nicht so zutrauen.

Brandenburgs SPD-Fraktionschef Erik Stohn zeigt sich zuversichtlich für Scholz. „Ich habe jetzt in den vergangenen Tagen viel gelernt über Annalena Baerbock, dass sie beim Trampolinspringen mehrfach die Bronzemedaille bekommen hat zum Beispiel“, sagt er. „Für uns ist ganz klar: Im Wahlkreis 61 setzen wir auf Gold und wollen natürlich den Wahlkreis mit Olaf Scholz gewinnen.“ Beide Kanzlerkandidaten, Baerbock wie Scholz, wissen für das Rennen um die Kanzlerschaft, was Trainieren heißt: Scholz joggt gern, Baerbock war früher Leistungssportlerin im Trampolinspringen.

(bora/dpa)
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